Heinrich Josef Günter

Die folgenden Informationen wurden der Dokumentation von Günther Salz (s.u.) entnommen:

Heinrich Josef Günter wurde am 30. November 1902 in Engers als Sohn des ehemaligen Ortsvorstehers und Bauern Wilhelm Günter II und seiner Ehefrau Maria, geb. Siebenmorgen, geboren und wohnte später dort in der Sayner Landstraße 10 (heute: Neuwied, Stadtteil Engers). Er wuchs in einem "gut katholischen" Elternhaus in der Alten Kirchstraße mit fünf Geschwistern auf. Am 25.9.1919 nahm er eine Lehre als Bau- und Maschinenschlosser auf, die er am 17.9.1922 beendete. Bald nach seiner Gesellenprüfung am 8.8.1923 machte er sich als reisender Verkäufer für landwirtschaftliche Maschinen selbstständig und heiratete am 4.9.1926 Lina Held aus Höchstenbach. Die Tochter Erika wurde am 29.1.1927 geboren. 1929 ging er eine zweite Ehe ein und legalisierte damit seinen vorehelich geborenen Sohn Friedrich. Das Ehepaar wohnte zunächst am Mittleren Rheinberg und danach in der Sayner Straße 10. Warum Heinrich Josef Günter Kommunist wurde, war nicht zu klären.

Nach mehreren Denunziationen und Hausdurchsuchungen, die ohne Beweise verliefen, wurde Günter am 20.8.1935 verhaftet und ohne Gerichtsverfahren in das Emslandlager Esterwegen zur "Umerziehung" deportiert. Über seine Misshandlungen dort berichtet er 1948 in einem Verfahren gegen den Engerser Polizeiwachtmeister Schnorbach (s.u.) und andere:

"Nach Einlieferung in Esterwegen 6 Wochen Strafkolonie, wo es täglich Schläge absetzte nach den bewährten Methoden. 1936, 25 Schläge mit 2 mtr. langen Ochsenziemern festgebunden auf dem weltberühmten Bock, dadurch sollte ich weich gemacht und zum Verräter werden, welches doch der SS misslang. ... 1936 nochmals im Anschluss an die 25 Ochsenziemerschläge 6 Wochen Strafkolonie."

Heinrich Kroes, Mithäftling, schildert dies drastischer: "Vor allen Lagerinsassen musste der Unglückliche selbst den Prügelbock (s. Abb.6) in den Kreis tragen, den die SS in der Mitte des Lagers bildete. Dann wurden SS-Leute vom Lagerkommandanten Oberführer Weiss und SS-Sturmführer Tarey aufgefordert, sich freiwillig zu melden, um die Prügelstrafe auszuführen. Immer fand sich ein solcher Lump ... Dabei musste das Opfer jeden Schlag laut zählen, sonst wurde er nicht angerechnet. War nach einigen Schlägen die Haut geplatzt, wurde oft das Gesäß noch gerieben, so dass sich die Kleidung in die Wunden drückte. Stöhnte der Geprügelte dann auf vor Schmerz, war ein teuflisches Johlen der SS die Antwort. ... Bevor alle 25 Schlag ausgeteilt waren, war das Opfer gewöhnlich bewusstlos."

1937 kam Heinrich Josef Günter in das neue Nachfolgelager von Esterwegen, das KZ Schsenhausen, das während der Olympischen Spiele gebaut worden war. Auch hier wurde er gequält und musste Zwangsarbeit leisten. 1948 schreibt er darüber: "In Sachsenhausen 1937 wurde ich 3 x 8 Stunden mit Ketten krumm geschlossen und mit dem Gesicht nach der Sonne gelegt. Das rechte Bein (sic!) wurden die Muskeln zertreten in der Höhe der Kniescheibe."

Am 12.12.1938 wurde Günter – krank und gedemütigt, aber letztlich ungebrochen – aus dem KZ Sachsenhausen entlassen. Zum 14.1.1939 wurde er als Autoelektriker in der Neuwieder Autowerkstatt Serresse & Sohn dienstverpflichtet. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Günter, der Engerser Polizei, dem Landrat, dem Naziarbeitgeber und der Gestapo ging jedoch weiter.

Am 18.5.1944 wird Günter auf der Arbeitsstelle in Neuwied verhaftet und der Gestapo in Koblenz überstellt. Das Amtsgericht Koblenz verurteilt ihn am 20.6.1944 zu vier Monaten Gefängnis wegen Unterschlagung einer Wehrmachtspistole. Unter Anrechnung der Untersuchungshaft und einer einmonatigen Bewährung hätte er am 17.8.1944 entlassen werden müssen. Es wird jedoch "Sicherungsverwahrung" angeordnet. Am 5.11.1944 wird er in das KZ Buchenwald deportiert. Er wird im Block 58 (später 39) untergebracht, erhält als politischer Gefangener die Häftlingsnummer 87422 und arbeitet noch im Frühjahr 1944 für die Rüstungsindustrie.

Seit 1943 bereitete sich das internationale Lagerkomitee, geführt von Kommunisten, auf das Ende des Terrors und die Übernahme des Lagers vor. Am 11.4.1945 befreien die Amerikaner Buchenwald; die SS hatte sich kampflos zurückgezogen.

Am 30.3.1948 stellte Günter gegen Polizeiwachtmeister Schnorbach einen Strafantrag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die öffentliche Verhandlung fand am 23.9.1948 in Darmstadt statt. Schnorbach wurde zu 3 Jahren Arbeitslager, wovon 2 Jahre der politischen Haft angerechnet wurden, sowie zum Einzug von 40% seines Vermögens und zur Aberkennung seiner Bürgerrechte verurteilt. Schnorbach klagte, und der hessische Ministerpräsident Dr. Zinn gestand ihm am 30.7.1954 auf der Grundlage des neuen Artikels 131 GG ("Amnestiegesetz") die vollen Beamtenbezüge zu.

Bis Mitte der fünfziger Jahre betrieb Günter eine Kraftfahrzeug-und Maschinenwerkstätte sowie eine Tankstelle in der jetzigen Neuwieder Straße in Engers. Er hatte wohl wenig Sinn für kaufmännische Belange. Zudem setzte die Gemeinde wegen der Durchfahrt der Straßenbahn in der Höhe seines Betriebes ein Halteverbot durch, so dass sich der Betrieb nicht mehr lohnte.

Er starb kurz vor seinem 80. Geburtstag am 5.10.1982.

 


Quelle:

Günther Salz, Erinnerung an den Engerser Kommunisten Heinrich Josef Günter und die KPD am Mittelrhein - "Ich bin und bleibe radikal" (o.J.)

Abb. 1 - 6: Privatbesitz Günter Salz, Engers

zu Abb. 6: li.: Abzeichen der Überlebenden des KZ Sachsenhausen, re.: Abzeichen der Überlebenden des KZ Buchenwald; darunter: Abzeichen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

b_162_0_16777215_00_images_Stolpersteine_Stein69.jpg
Heinrich-Josef Günter als Pensionär
Abb. 1: Heinrich-Josef Günter als Pensionär
Heinrich-Josef Günter als Radsportler
Abb. 2: Heinrich-Josef Günter als Radsportler
Heinrich-Josef Günter: erkennungsdienstliches Foto der Ortspolizeibehörde Engers
Abb. 3: Heinrich-Josef Günter: erkennungs­dienstliches Foto der Ortspolizeibehörde Engers
Eingang des KZ-Buchenwald
Abb. 4: Eingang des KZ-Buchenwald
Von Heinrich-Josef Günter getragene Abzeichen
Abb. 5: Von Heinrich-Josef Günter getragene Abzeichen
Der berüchtigte "Bock"
Abb. 6: Der berüchtigte "Bock"
 
Wir setzen Cookies zur optimalen Nutzung unserer Website ein. Nähere Informationen dazu finden Sie »hier