Brief von Julius Meyer an Friedrich Wolf

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Julius Meyer, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde des Kreises Neuwied
Julius Meyer

Sehr geehrter Herr Professor!

….. Die Hauptfigur unserer Familientragödie bildet meine nichtjüdische Ehefrau, die sich in all den Jahren schützend und sich selbstverzehrend vor die ganze Familie stellte. Doch das werden Sie aus den Aufzeichnungen sehen, die ein Faden durchzieht: Helfer, helfen und retten, was es zu retten gibt. Dieses schreibe ich nur darum, weil im Großen gesehen unsere Familie den Leidensweg ging, den Millionen unserer Leidensgenossen gingen. ….

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Julius Meyer, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde des Kreises Neuwied
Julius Meyer

Sehr geehrter Herr Professor!

….. Die Hauptfigur unserer Familientragödie bildet meine nichtjüdische Ehefrau, die sich in all den Jahren schützend und sich selbstverzehrend vor die ganze Familie stellte. Doch das werden Sie aus den Aufzeichnungen sehen, die ein Faden durchzieht: Helfer, helfen und retten, was es zu retten gibt. Dieses schreibe ich nur darum, weil im Großen gesehen unsere Familie den Leidensweg ging, den Millionen unserer Leidensgenossen gingen. ….

Die Anfänge des Schaustellerbetriebs vor dem 1. Weltkrieg

Der Großvater Jakob Meyer von dem ich ein Photo beifüge, hat bei den 29ern in Trier gedient die Feldzüge 1864, 1866 und 1870-71 mitgemacht und wurde, wie auf dem Photo ersichtlich, reichlich mit Orden ausgezeichnet. Auch im damaligen „Heddesdorfer Kriegsverein“ spielte er eine Rolle. Nach dem Kriege 1871 begann er, zunächst als Straßenarbeiter wirkend, mit einem kleinen Karussell in hiesiger Gegend zu reisen und schlug recht und schlecht mit seiner Frau und acht Kindern durchs Leben. Er war arm aber geachtet. Zur damaligen Zeit waren die Karussells primitiv der Besitzer musste sie meist schieben, Orgeln gab es noch nicht – der Großvater ersetzte diese durch eine Ziehharmonika, die er dann selbst spielte. Auch die Zeit war arm.

Aber dennoch kam nach einigen Jahren ein Pferd zum Ziehen des Karussells und später dieses ein in Berlin gebauter fürchterlicher Kasten war, den die Söhne von morgens bis abends drehen mussten. Jedoch war dies für die damaligen Begriffe etwas, was bei der Eröffnung mit Girlanden gefeiert werden musste. Zu der damaligen Zeit wohnte der Großvater in Niederbieber bei Neuwied im Winter wurden das Karussell und die Wagen repariert und gemalt, der Saisonanfang war zu Ostern in Neuwied auf dem Turnplatz.  Die Reisetour erstreckte sich hauptsächlich im hiesigen Kreisgebiet. Jahrelang, ja, jahrzehntelang war der Beginn auf dem Neuwieder Turnplatz. In jener Zeit wurde von den Neuwiedern folgendes Gedichten gebracht, welches noch heute bei alt und jung lebendig ist und wohl noch lange lebendig bleiben wird (mit Ausnahme der Nazizeit). Es hat folgenden Wortlaut

Alle Jahre wieder
kommt aus Niederbieber
um die Zeit der Eier (Ostern)
der Karussellen-Meyer.

Im übrigen war der Großvater kein Materialist, ihm war ein gemütliches Kartenspiel interessanter als alles andere. Das kam wohl auch daher, dass ihm die drei Feldzüge sehr mitgenommen hatten. 1898 übernahm der Vater dieses kleine Karussell. Er galt wohl als der zuverlässigste von den Söhnen. Bei einer Anzahlung von 2000 Mark hatte er 10000 Mark in jährlicher Abzahlung mit den üblichen Zinsen zu tragen. Die Übernahme war ein hartes Schicksal für die Eltern, da das Karussell inzwischen abgenutzt, veraltet und der inzwischen entstandenen Konkurrenz nicht mehr gewachsen war. Ich kann mich nicht entsinnen, dass die Mutter im Winter, wenn sie des abends schon abgerackert und 5 Kinder ins Bett versorgt hatte, Nacht für Nacht die Stickereien und Perldekorationen ausgeflickte, und das alles ohne Stütze. Mit den Pferden, die im Sommer das Karussell und die Wagen zogen, Fuhrwerke der Vater im Winter in den Kriegsgruben, Arbeiten, die den meisten Fuhrleuten zu schwer waren.

Ein Ziel schwebte den Eltern vor Augen: „Aus den Schulden heraus und vorwärts zu kommen! Unter Zurückstellung alles Persönlichen, unter größten Sparsamkeit und zäher Ausdauer schafften sie in fast einem Menschenalter ein nettes Häuschen, welches noch heute in der Junkerstraße 45 steht eins der besten der Straße. Aus dem einst übernommenen primitiven Karussellchen wurde eins der schönsten und saubersten weit und breit d.h., dem alten Pferdekarussell blieb der Vater treu, wenn auch modernisiert. Mit einem 1909 für den verwöhnten Geschmack gebauten Automobil hielt er es nicht, er kam immer wieder auf sein schönes Pferdekarussell zurück, ebenso ging es der Mutter. Auch die Eltern begannen zu Ostern auf dem Turnplatz, und obwohl sie nicht von Niederbieber sondern von Neuwied kamen, sangen die Kinder dennoch das Gedichtchen: „Alle Jahre wieder....“

1910 starb der Großvater, er wurde mit den damaligen militärischen Ehren unter Beteiligung des Militärs, des Kriegervereins und sonstiger Vereine und großer Beteiligung der Bürgerschaft in Niederbieber auf israelischen Friedhof beerdigt. Hinter seinem Sarge schritt ein überlebendiger Kriegskamerad, damaliger Gerichtsvollzieher von Neuwied, der mit dem Großvater bei der Erststürmung der Doppler Schanzen übrig blieb. In den Händen trug er das Kissen mit dem Orden des Großvaters.

Die Zeit von 1914 bis 1918

Der 1. Weltkrieg 1914 überraschte uns in Hadamar bei Limburg (Lahn), wo wir uns damals zur Kirmes befanden. Der Vater, der ebenfalls wie der Großvater bei den 29ern in Trier gedient hatte, musste sich damals 43jährig am 4. Tage stellen, wurde zur Brückenwache nach Wahn (Rhid) kommandiert und kam dann nach Polen und Russland zur Gefangenenbewachung. 1917 kam er infolge eines Herzleidens zur Geschossfabrik Siegburg, wo er trotzdem noch schwere Arbeit leisten musste bis zum damaligen Zusammenbruch 1918.

Ich selbst war bei Kriegsausbruch 1914 18 Jahre alt, die Schwester Rosa 17, die Schwester Emma 16, die Schwester Frieda 10 und die Schwester Johanna 3 Jahre alt. Nachdem ich damals das Karussell mit dem Wagen von Hadamar nach Neuwied auf unser Grundstück gebracht und im Schuppen verstaut hatte, versuchte ich mich mit meinen Schulkameraden Adolf und Siegfried Sander zusammen freiwillig zu melden – beide sind später gefallen. Gerade Herr Lehrer Ransenberg forderte damals uns alle auf, wir sollten uns freiwillig melden. Wir alle gingen in dem Bewusstsein einer guten Sache zu dienen. Bei mir blieb die Einwilligung des Vaters aus, der inzwischen in Polen war. Statt dessen erhielten wir einigen Wochen vom Vater einen Brief, in welchem der mich bat, für die Mutter und die jüngeren Geschwister zu sorgen und ich wurde nüchtern. Wir verluden unseren Wohnwagen anfangs 1915 nach Siegburg, und ich nahm dort mit den beiden ältesten Schwestern in der Geschossfabrik bzw. im Feuerwerkslaboratorium Arbeit an. Ich erinnere mich noch, wie sich damals unsere Mutter quälte, da sie infolge der Tag und Nachtschichten kaum zur Ruhe kam. Stundenlang stand sie mit dem Leiterwägelchen bei der Kohlenhandlungen um ein paar Briketts an, da es Winter in den Wohnwagen kalt ist. Hinzu kam die schlechte Ernährung, und sie hatte doch nur einen Wunsch: es den Kindern es ging gemütlich zu machen.

Dort lernte ich meine Frau kennen, auch sie arbeitete dort und entstammte demselben Beruf. Anfangs 1916 wurde ich eingezogen. Noch heute verwahre ich zwei Postkarten meines Vaters aus Russland aus dieser Zeit. Ich tat meine Pflicht so, wie sie damals jeder junge Mann tat, erhielt auch das EK II als Kraftfahrer bei den Artillerie, bekam jedoch im Sommer durch Gespräche mit dem älteren Kameraden, der sich später als Freimaurer herausstellte, eine andere Meinung vom Leben und Sterben. Als ich im Oktober 1918 im Urlaub fuhr und in der Heimat vieles sah, was mich anwiderte, da dieses die Folgen des Krieges waren, und das diese Folgen eigentlich noch ekelhafter seien wie der Krieg selbst. So fuhr ich nicht mehr zurück.

Meine Frau, die ich erwähnt 1915 in Siegburg kennen lernte, heiratete ich im Dezember 1920, sie war katholisch, es gab zuerst Kämpfe bei den Eltern, die sich am Hochzeitstage aber legten – die Liebe der Eltern siegte über Dogmen. 1921 machte ich mich im erlernten Beruf selbstständig und es war schon wieder ein „Karussellen-Meyer“ da. Jedoch verlegten wir unser Tätigkeitsgebiet nach dem Bezirk Köln, um den Eltern das Leben durch Konkurrenz nicht zu erschweren. Infolge des Bereisens größter Städte erweiterte sich der Geschäftsblick und der Unternehmungsgeist. Mit mehreren größeren modernen Belustigungsgeschäften wie Elektro- Selbstfahrer, Raupenbahn, Fliegerkarussell, Lustige Trommeln usw. bereisten wir die größeren Städte Deutschlands und bis 1933 auch Holland. In Köln-Kalk erwarben wir ein Grundstück, bauten uns ein Einfamilienhaus sowie Schuppen für 24 Fahrzeuge, die zu den einzelnen Geschäften gehörten. Im Winter wurden diese dort untergestellt, überholt und aufgemalt. Die einzelnen Geschäfte wurden durch Geschäftsführer geleitet, die Betriebe waren in Ausstattung und Sauberkeit führend. Feinde hatte ich keine – aber Neider!

In den stillen Wintermonaten fuhren meine Frau, mein Sohn und ich fast jeden Sonntag nach Neuwied zu unseren Eltern in der Junkerstraße, oder die Eltern und die Schwester kamen zu uns nach Köln-Kalk. Wir hingen sehr aneinander. Um sich das Leben zu erleichtern, erwarb der Vater in der damaligen Zeit ein kleineres Kinderkarussell, welches mit selten schönen Motorrädchen, Kinderautos und Pferden mit beweglichem Kopf und beweglichen Beinen überall Aufsehen erregte. Hierdurch hatte er es sich und seiner Familie leichter gemacht, als wie es früher mit dem schweren Karussell war, denn seine Spannkraft ließ nach.

Zu jener Zeit war die Schwester Rosa (2 Jahre jünger) verheiratete sich in Giengen bei Ulm mit dem Karussellbesitzer Wilhelm Brau, der christlicher Religion war. Die Schwester Frieda (8 Jahre jünger) war in Neuwied mit dem Schuhmacher Adolf Wilp verheiratet. Nach einigen Jahren gab er auf ihr Betreiben die Schuhmacherei auf und fuhr mit einem kleinen Karussell. Wilp hatte vollkommen jüdisches Aussehen, gab jedoch an, er sei katholisch. Die beiden Jungen Hermann (1925) und Herbert, die der Ehe entsprossen, wurden von meinen Eltern und Geschwistern Rosa jüdisch erzogen. Hermann blieb seit der Geburt bei seinen Eltern (also den Großeltern) während Herbert nach einigen Jahren von Bekannten in Erpel am Rhein erzogen wurde.

Die jüngste Schwester Johanna wurde 1910 während der Kirmes in Linz am Rhein im Wohnwagen, der auf dem Burgplatz stand, geboren. Sie war noch unverheiratet zu Hause.

1933 - 1936: Boykott und Ausgrenzung

So kam das Jahr 1933. Obwohl ich eingeschriebenes Mitglied der SPD bin, habe ich mich eigentlich erst tiefer von da an bzw. 1932 mit Politik befasst. Der Beruf, in dem ich lebe, erfasst nämlich den Menschen so vollständig, dass für andere Dinge keine Zeit und somit kein Interesse bleibt. Im Sommer Aufbau. Spielen – Abbau und Transport zum nächsten Platz im Winter: Reparieren – Verbessern – Erneuern – Malen und Reisetouren mit Behörden und Vereinen festlegen: Meinen damaligen Standpunkt habe ich abgelegt, da ich es heute als Pflicht jeden Bürgers ansehe, die Politik zu verfolgen und zu beeinflussen, –- die erforderliche Zeit muss sich jeder nehmen, genau wie zum Essen und Trinken.

Am 30. Januar 1933 befand ich mich nun mit einer Raupenbahn auf einem Volksfest in Essen, welches auf dem sog. Sarrassaniplatz stattfand, der einige 100 m vom Hauptbahnhof entfernt liegt. Ich selbst war an diesem Tage mit dem Auto unterwegs und kehrte auf der Rückfahrt in das Hotel von Kettwig am Krummen Weg ein (da wo der Krumme Weg beginnt), um ein Glas Bier zu trinken. In dieser Stunde wurde durch den Rundfunk die Berufung des Braunauer Massenmörders unter dem bekannten Gejohle der braunen und angebräunten Masse durchgegeben. Ich hörte diesem Getöse still in einer Ecke zu, ich ahnte was die Stunde geschlagen hatte. Einige Tage später begann der Boykott der jüdischen Geschäfte. Die Konkurrenz sorgte schon dafür, dass mich die SA nicht vergas. Diese erschien am Abend, besetzte die Raupenbahn und jagte die Fahrgäste hinunter. Diese Zeremonie dauerte einige Stunden, während dieser Zeit saß ich im Wohnwagen. Obwohl der Boykott nach dem ersten Tag offiziell abgeblasen wurde, wiederholte sich das Schauspiel am nächsten Tag wiederholt, bis meine Frau von der Kasse den Haupträdelsführer anrief, ihm erklärte das sie ja der Besitzer sei, sie sei katholisch. Dann bewegte sie ihn, mit einer Hand Freikarten, die Aktion zu beenden. Dieselbe Zeremonie ereignete sich 14 Tage später in Wuppertal-Barmen, wo ich zu einem Volksfest auf dem Zirkusplatz gastierte. An dem damaligen Ostersonntag etwa zwischen 3 und 5 Uhr, besetzten die Braunen SA–Garden die Bahn, hieben die Fahrgäste herunter, bis dann meine Frau mit dem Hauptschreier das Experiment mit den Fahrkarten wiederholte. Zur damaligen Zeit befand sich gerade mein Vater bei uns zu Besuch, den Kopf schüttelnd meinte er, dass er so etwas in Neuwied noch nicht erlebt habe. (Leider sollte er dort noch viel schlimmeres erleben).

Von da an setzte eine Verfolgung und Kesseltreiben gegen mich ein und noch schlimmer gegen meine Eltern. Die Verausgabung der Standplätze zu den Volksfesten und Kirmessen liegt in den Händen der Behörden oder von Vereinen. Man suchte und fand Gründe genug um uns abzulehnen. Auf Plätzen, wo wir seit Generationen gastiert hatten, wurden wir nicht mehr zugelassen, sei es, dass „die Plätze leider vergeben waren“, oder sei es, „um die öffentliche Meinung nicht zu erregen“. In Nassau/Lahn wurde mein Vater von der Behörde zwecks Besprechung für die Zulassung zum Sept. 33 zum Rathaus bestellt. Ahnungslos ging mein Vater in das alte, dunkele Rathaus, während meine Mutter und meine Schwester, welche das Auto fuhr, auf dem Marktplatz warteten. Als der Vater reichlich lange auf sich warten ließ, gingen Mutter und Schwester ins Rathaus, um nachzusehen. Dort fanden sie den Vater blutüberströmt im Hausflur besinnungslos und niedergeschlagen liegen. Wie er später angab, wurde er beim Hinaufgehen von 2 SA-Leuten niedergeschlagen. Sofort einsetzende „Ermittlungen“ blieben „leider erfolglos“. Als ich damals durch die Mutter von diesem Vorfall erfuhr, sandte ich einen Geschäftsführer, den ich eigens für „besondere Missionen“ eingestellt hatte, von Rheinbach bei Bonn, wo wir gerade gastierten, nach Nassau. Es konnte nichts ermittelt werden. Wo verständige Beamte versuchten, uns noch auf den Plätzen zu halten, dort sorgte die Konkurrenz und sonstige Schmarotzer dafür, dass wir nicht zugelassen wurden.

Das Jahr 1933 ging zu Ende. Die Eltern versuchten nun, im Jahr 1934 auf Plätzen unterzutauchen, die entfernter lagen und wo sie weniger bekannt waren. Da das Karussellchen sauber und schön war, wurden sie gerne gesehen. Sie reisten in der Gegend von Essen (Ruhr). Bald aber sprach es sich herum, dass es ja Juden waren, und es gab auch dort keine Zulassung mehr. Ich selbst konnte mich noch immer hinter dem Rücken meiner nichtjüdischen Frau verstecken und mit Toleranz der Behörde immer noch von Fall zu Fall einen Platz erhalten. Ich trieb dabei die Propaganda, dass die Betriebe ja seit langen Jahren der Frau gehörten und nicht als jüdisch anzusehen seien. Ein Finanzbeamter, der uns gewogen war, schrieb den Besitz rückwirkend beim Finanzamt Köln-Ost, zu dem wir gehörten, auf meine Frau um. Der Geschäftsführer, den ich schon erwähnte, musste dann von Platz zu Platz versuchen, den Dreck, den die Konkurrenz vor uns auf den Weg streute, beiseite zu räumen.

Im August 1934, als den Eltern die Arbeit schon unmöglich gemacht wurde, führte ich ihnen einen Berufskollegen zu, der auf Treu und Glauben das Karussell auf seinen Namen führen sollte und der dafür zur Hälfte beteiligt wurde. Dieses Verhältnis wurde jedoch Ende der Saison gelöst, da es dieser Berufskollege nicht ehrlich meinte, wie eben alle. Wir befanden uns im August 1934 zur Kirmes in Opladen, d.h., wir fuhren eben mit dem Transportwagen auf den Platz, als schon ein Polizeibeamter meiner Frau eine Zustellung überreichte, wonach ihrem Mann, also mir, der Aufenthalt auf dem Platz verboten wurde. Ich hatte damals noch einige Angestellte, die schon lange Jahre in meinem Betrieb waren und die treu zu mir hielten. Diese wussten mit den Braunen ziemlich gut fertig zu werden. So habe ich sie denn abends im Dunklen aufgesucht, ihnen Instruktionen erteilt und die Arbeit nachkontrolliert, damit die Bahn betriebssicher laufen konnte. Da wir eigene Betriebsmaschinen besaßen, lies ich diese an der Seite des Platzes aufstellen, damit ich sie des Abends trotz allem in Kontakt halten konnte. Zur selben Zeit standen die Eltern mit den beiden Schwestern in einem Dorf an der Agger zur Kirmes. Ein nichtjüdischer Verehrer meiner jüngsten Schwester kam während des Kirmestages zu uns und berichtete, dass der Vater in der vergangenen Nacht von diesem Dorf in ein mehrere Stunden entferntes geflüchtet sei, und zwar sei dies auf den Wink eines Polizeibeamten geschehen, der den Bedrohten zukommen ließ, dass eine Horde SA unterwegs sei, um das Karussell zu demolieren und den Vater zu verhaften. Auch in diesem Fall trug die Konkurrenz die Schuld daran. Dieser Verehrer hatte mit der Mutter, den beiden Schwestern und einem Gehilfen, der ihnen treu blieb das Karussell auf dem schnellsten Wege abgebrochen und in die Wagen verpackt. Sie wurden gerade fertig, als die Horde ankam.

Auch das Jahr 1934 ging zu Ende. 1935 versuchten die Eltern ihr Glück auf unserem Grundstück in Köln-Kalk, Feldstr. 1. Alles andere war ihnen verschlossen, doch die Liebe zum Beruf trieb sie dazu. Nachdem wir uns wieder auf die Wanderschaft gemacht hatten und uns, wie schon erwähnt, so gut es eben ging durchschlugen, blieben die Eltern einige Monate auf unserem Hof und versuchten dann, einige minderwertige, kleine Plätze zu halten; das waren solche, wo kein anderer hin wollte. Meine Frau, die sich einer lebensgefährlichen Operation in der jüdischen Klinik in Köln-Ehrenfeld unterziehen musste, stand damals in unserem Blickfeld, denn mit ihr stand und fiel Familie Meyer. So erzählte mir der Chirurg, Prof. Dr. Schönholz, der später nach England ging, dass sich mehrere Schausteller telephonisch erkundigten, ob die Operation gut verlaufen sei. Sie witterten damals schon die Übernahme unserer Geschäfte. Das Jahr 1935 war ferner gekennzeichnet dadurch, dass ich von der Gestapo geschnappt wurde. In einem Gespräch mit einem Berufskollegen, der jedoch in keiner NS-Gliederung war, erklärte ich unter anderem, man solle mich mit dem Arischen und Nichtarischen nur so behelligen, wie es Götz von Berlichingen sagt. Auch hier sorgte meine Frau dafür, dass man mich laufen ließ. Unser Grundstück mit dem Einfamilienhaus und den Schuppen zum Unterstellen der Wagen lag etwa 30 m seitlich des Marktplatzes von Köln-Kalk worauf sich die Kirmes abspielte. Wir konnten uns damals noch auf dem Kalker Marktplatz mit Hilfe einiger Bürger behaupten. Die Eltern bauten auf unserem Grundstück. In einer Nacht kommt die Mutter weinend in unseren Wohnwagen gelaufen und erzählt, dass man ihnen soeben die Tür des Karussells und die Lampen demoliert und die Reifen und Schläuche der kleinen Motorrädchen zerschnitten hätte.

Meine Frau, die neben der Versorgung des Haushaltes, der mit den Angestellten aus 10 Personen bestand, die verpflegt werden mussten, die Sorge um den regelmäßigen Schulbesuch des Sohnes hatte, der überall, wo wir uns befanden, zur Schule gehen musste und die seit 1933 die geschäftlichen Angelegenheiten ausübte, wurde bei Platzvergebungen, die sich meist in der Öffentlichkeit abspielten, schon damals von den Berufsgenossen in der erbärmlichsten Art boykottiert und ignoriert. So wurde sie in Cranenburg bei Elberfeld ohne jeden Anlass mit Judensau und ähnlichen Ausdrücken bedacht und sogar angespuckt. Dies geschah gelegentlich einer Platzeinteilung des dortigen Schützenvereins.

Der Außenstehende mag sich kaum ein Bild darüber machen, was eine nichtjüdische Frau in diesem an sich schon so schweren Beruf durchmachen musste, wenn sie im Mittelpunkt einer jüdischen Familie stand. Am Spieltage, der meist von morgens um 11 bis 23 oder gar bis 24 Uhr dauert, muss sie die Verpflegungsarbeiten für die Familie und die 3 Angestellten besorgen, die Kassengeschäfte leiten, und kaum ist sie spät abends ins Bett gesunken, muss sie schon wieder heraus und alles vorbereiten, den Jungen pünktlich in die Schule bringen, und das alles unter solchem seelischem Druck; bei jedem Erscheinen eines Beamten oder eines anderen Nazi die Angst. …. Die "Nürnberger Gesetze" machten uns das Leben noch schwerer, da meine Frau keine Hausangestellten mehr halten durfte.

Die Eltern mussten sich damit abfinden, dass sie unter den herrschenden Schwierigkeiten und dem Terror nicht mehr reisen konnten und in Neuwied bleiben mussten. Das größere Karussell, welches sie seit 1933 nicht mehr betrieben, verkauften sie an einen gewissen Schmidt aus Limburg (Lahn), der auch in "nichts drin war", der Verkaufspreis war nicht einmal 1/3 des wirklichen Wertes, und sogar darum wurden die Eltern betrogen. Der Betrüger zahlte zwar eine kleine Anzahlung, verweigerte aber die Restzahlung und bedrohte den Vater, er habe ihm ja dieses und jenes einmal gesagt. Ich selbst hatte seit 1930 in Holland zwei Betriebe, die ein holländischer Geschäftsführer gegen Beteiligung führte. Dieselben warfen vor 1933 Gewinn ab, den wir in unserem Grundstück investierten. Nach 1933 ging der Geschäftsgang angeblich zurück, der Holländer nützte die Situation aus. Die Geschäfte verloren wir bis auf die Summe von 1500 fl, was ich unter dem Druck der Verhältnisse akzeptierte. Der Holländer sollte das Geld verwalten, entpuppte sich später aber als ein noch größerer Verbrecher.

1936 - 1938: ruinöse Schikanen und Überlebenskampf

1936. Die Nürnberger Gesetze und vor allem die ungeschriebenen Gesetze übten einen derartigen Druck auf die Familie aus, dass wir unsere Reisetournee Schlesien-Oberschlesien-Ostpreußen-Westpreußen und Danzig verlegten, um Ruhe zu finden in der Annahme, dort unerkannt zu bleiben. Jedoch auch dieses war eine Enttäuschung, unser Name war zu populär – man kannte den Karussellen-Meyer in Königsberg, Tilsit, Stolpe, Danzig oder Beuthen genau so, wie im Rheinland. So kam es, dass da, wo wir einen Platz bezogen hatten, schon die braunen Gesellen erschienen um nachzuprüfen, ob es sich um ein jüdisches Unternehmen handele. Sie waren jedes Mal durch einen ehem. Bekannten oder Angestellten aufgehetzt worden. Wir, d.h. meine Frau log so gut sie konnte, und wenn es keine Ruhe gab, so verschwand ich aus dem Betrieb, bis die Veranstaltung vorüber war. Nach Saisonschluss stellten wir den Betrieb in Stolpe (Pommern) unter, ein ehemaliger Karussell-Besitzer, der nicht mehr reiste, überwachte während des Winters die Wagen, während wir nach Köln in unsere Wohnung fuhren.

Wir waren noch keine l0 Tage zu Hause, als eines Tages 5 Beamte darunter 2 der Gestapo, erschienen mit einer „Arrestanordnung" über das gesamte Vermögen. Das Haus wurde durchsucht, Leibesuntersuchungen wurden durchgeführt, die Konten gesperrt. Sämtliche Papiere wurden zusammengepackt und auf ein Auto verladen, das vorhandene Geld mitgenommen. Auf Anruf kam mein Vater und brachte etwas Geld, ebenso Verwandte meiner Frau, so dass wir leben konnten. Die Aktion wurde durchgeführt mit der Begründung, wir hätten in den letzten Jahren 40000 Mark Steuern zu wenig gezahlt, also auch zu der Zeit, wo die Nazis noch gar nicht am Ruder waren. Ein älterer nicht mehr zugelassener Anwalt wurde mir zugeführt, der mich in den folgenden Unterwerfungsverhandlungen vertrat. Dieselben, die wochenlang von morgens bis abends in Köln an einem besonders eingerichteten Dezernat in der Kanalstraße durchgeführt wurden, endeten mit einer Unterwerfung, die allerdings hinter verschlossenen Türen, unter Drohungen und Beschimpfungen erreicht wurde. Wörtlich sagte der damalige, für diese Torturen besonders geschulte Regierungsrat Kukulka: "Vogel, friss oder stirb! Pumpen Sie sich bei Ihren Glaubensgenossen Geld, damit Sie weiterkönnen!" usw., usf.

Im März 1937 waren wir dann trotzdem so weit, dass wir mit dem beschlagnahmten Karussell weiterreisen konnten, unter der Bedingung aber, dass wir neben den anderen Steuern monatlich 500 Mark bezahlten, die an den 40000 Mark angebl. zu wenig gezahlter Steuern noch fehlten. Unseren Standort mussten wir jeweils bekannt geben. Wir hofften auf die Zeit. Ich selbst wäre damals emigriert, jedoch die Verpflichtungen gegenüber der Familie behielten die Oberhand. Das nächste was wir machten war die Vermietung des Grundstückes und des Wohnhauses an eine Spedition, (Martin Kürten, Köln-Kalk), den Mietüberschuss ließen wir den Eltern und den beiden Schwestern überweisen, wir selbst hofften, uns schon durchzuschlagen und bezogen während des Winters verschiedene möblierte Zimmer in Stadtteilen von Köln während wir im Frühjahr ja wieder in die Wohnwagen einzogen. Im Frühjahr 1937 versuchten wir von Stolp aus, uns in Pommern zu halten, doch der Druck war zu stark, und wir reisten wieder nach Oberschlesien, wo wir um den Druck zu entgehen, entlegene Städtchen aufsuchten, d.h., solche, wo die Konkurrenz nicht hinwollte. Es war natürlich dort nicht viel zu verdienen, aber es ging uns darum, den Betrieb zu halten, das übrige sollte die Zeit tun. Statt 6 oder 7 Angestellten hielten wir nur noch 2 bis drei, der Junge, 11 Jahre alt, musste schon feste mit anfassen. Kaum aus der Schule gekommen, zog er schon seinen blauen Arbeitsanzug an, worauf er besonders stolz war.

Die Eltern und Geschwister wurden laufend mit Lebensmitteln und fehlenden Kleidungsstücken versorgt. Die Schwestern versuchten damals, sich durch Hausarbeiten bei nichtjüdischen Bekannten etwas zu verdienen. Der Vater hatte inzwischen in dem Hofe, wo früher seine Wagen im Winter untergestellt waren, einen schönen Garten angelegt, dem er sich fleißig widmete. So brachten wir das Jahr 1937 hinter uns. Wir ließen das Karussell im Herbst in einer Halle bei einer jüdischen Familie Fröhlich in Ratibor O[ber] S[chlesien], reisten nach Beendigung nach Köln und bezogen in der Elisenstr. eine möblierte  Wohnung.

Dort gingen zur damaligen Zeit noch viele Juden in die Pension Kressinger zum Essen, bis dann eines Tages die Schilder "Juden unerwünscht“ auftauchten, d. h., gegen den Willen des Besitzers, mit dem ich mich darüber unterhielt. Als wir dann merkten, dass Gestapobeamte, die einige 100 Meter weiter ihr Dienstgebäude hatten, unsere Tischnachbarn beim Mittagessen waren – ich vergesse nicht einen dieser Verbrecher, der mich beim Sprechen immer scharf beobachtete – zogen wir zum Friesenplatz um.

Es war kurz nach der Besetzung Österreichs, als eines morgens meine jüngste Schwester aufgeregt von Neuwied ankam und uns erzählte, dass ihr durch den Amtsgerichtsrat Selter in Neuwied vertraulich mitgeteilt worden war, es läge eine Anzeige gegen sie vor, sie verkehre mit einem arischen Mann, er rate ihr, sofort zu verschwinden. Ich brachte sie zur Bahn nach Holland, gab ihr ein Schreiben mit an den früher erwähnten holländischen Geschäftsführer, der die 1500 fl. von mir in Verwahr hatte und bat denselben, meiner Schwester das Geld auszuzahlen, damit sie vorerst leben könne. Dieser gab ihr ein paar mal kleinere Summen und dann nichts mehr. Meine Schwester besorgte sich eine Stelle als Hausangestellte bei einem jüdischen Zahnarzt. Nach einiger Zeit fuhr ich zu ihr hin, besuchte gleichfalls Onkel Julius Meyer (1882–1943) und Tante Helene geb. Schäfer (1882–1943), die in Holland untergeschlüpft waren, redete ihnen zu, auszuhalten, immer in der eigenen Annahme, die Zeit wird helfen. Das Benehmen der jüdischen Familie gegenüber meiner Schwester gefiel mir nicht. Trotzdem setzte ich alles in Bewegung, um auch die Eltern nach Holland zu bekommen – auf normalem Wege waren die Bemühungen natürlich aussichtslos. Aber die Eltern waren nicht zu bewegen, auf illegalem Weg zu gehen. … und es war wohl auch der Hang der Eltern an die Heimatscholle, der sie nicht aktiv werden ließ, vielleicht aber war es auch die Ahnung, dass auch der Weg nach Holland vergebens wäre.

Durch Verkauf von Wertgegenständen schleppten wir inzwischen die Steuerlast, der Verdienst im Sommer war dadurch, dass wir abseits reisten, ganz minimal; aber der Wille, diese Zeit zu überstehen, raffte uns immer wieder auf, und immer wieder war es meine Frau, die im Vordergrunde stehend, die Eltern, die Geschwister und auch mich selbst ermunterte und aufrichtete. Wenn sie durch Zufall einen Bekannten auf der Straße erblickte, so sah dieser an ihr vorbei, genauso wie es mir geschah. Es waren nur ganz Vereinzelte, die den „Mut“ hatten, ein paar Worte mit uns zu sprechen. Diese Einstellung machte sich auch immer stärker bei den Angestellten bemerkbar, die sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit an die Deutsche Arbeitsfront wandten, es ging soweit, dass einer sich beschwerte, wenn er den Hitlergruß anwende, würde immer mit „Guten Tag“ geantwortet, und das könne so nicht weiter gehen. Im Hintergrund stand immer irgendein Berufskollege, der die Angestellten aufstachelte, um durch die so genannte Arisierung in Besitz unseres Betriebes zu gelangen.

In dieser Situation begannen wir die Saison 1938 in Oberschlesien, schleppten uns durch den Sommer mit immer neuen auftauchenden Schwierigkeiten mühsam durch, standen in dauernder Korrespondenz mit den Angehörigen, die Eltern lebten wie erwähnt von unseren Mietsüberschüssen, außerdem schickten wir ihnen alles, was wir abbringen konnten. Ich selbst war zu jener Zeit noch ziemlich impulsiv und wurde in diesem Jahr in Köln vor die Strafkammer geschleppt, weil ich einen Berufskollegen mit „Verbrecher“ titulierte und ihn bedrohte. Der schlimmste Nazianwalt von Düsseldorf vertrat die Anklage und forderte KZ. Der letzte jüdische Anwalt von Köln, Dr. Kallmann, der kurze Zeit darauf nach England ging, brachte es mit Hilfe eines aufrechten Richters fertig, die Angelegenheit als keine, sondern wirtschaftliche zu konstruieren, eine Anzahl Zeugen, frühere Kollegen, blieben standhaft für mich, zwei Berichterstatter des „Stürmer“, die engagiert waren, packten während der Zeugenvernehmung ihre Sachen wieder zusammen und verschwanden. Mit einer größeren Geldstrafe kam ich wegen Beleidigung davon.

Reichspogromnacht 1938 und die Folgen

In Wohlau in Schlesien überraschte uns der 9. November 1938 unerkannt. Es waren dort nur einige jüdische Familien. Am 10. November ließ sich meine Frau mit ihrer Schwester telefonisch verbinden, die damals in Ahrweiler mit ihrer Bude stand. Diese Schwester wusste schon, dass bei unseren Eltern in Neuwied alles demoliert war. In Köln-Kalk selbst ging es ruhig her, der Ortsgruppenleiter der NSDAP wurde deswegen entlassen. Am 11. November fuhren wir drei von Osten mit dem PKW an den verbrannten Synagogen vorbei, sahen die zerstörten Wohnungen und Geschäfte und kamen am 12.11.38 nachmittags in Neuwied an. Wir begaben uns zunächst zu den Trümmern der Synagoge und dann zur Junkerstraße 45 zu den Eltern. Dort war man dabei die letzten Scherben wegzuräumen, was von Holzstücken übrig blieb, hatte der Schwager [Adolf Wilp] so gut es ging, zusammengeflickt. Der Vater war aus der „Schutzhaft“ wieder entlassen. Aber, was ich nicht vergessen werde, die Mutter hatte bei der Aktion einen Schlaganfall bekommen und behielt seither ein Zittern in den Händen. Damals wurden die beiden Söhne meiner zweitjüngsten Schwester, sie waren acht und dreizehn Jahre alt, bei meinen Eltern, die Schwester selbst, deren Mann als „Arier“ galt, reiste mit einem kleinen Karussell so gut es eben noch ging, in Westfalen herum. Um es den Eltern zu erleichtern, veranlasste ich, dass die beiden Jungen so schnell wie möglich nach Holland kamen, wo sich die jüngste Schwester um die beiden kümmern konnte.

Kurze Zeit darauf erhielt ich von einem Bekannten die Aufforderung, sofort nach Dortmund-Hörde zu kommen. Dort angekommen, saß der jüngere der beiden in einem kleinen Wohnwagen bei Bekannten, die mir erzählten, dass die Polizei den kleinen dort abgegeben habe. Die Mutter und deren Mann seien von der Gestapo verhaftet worden. Der richtige Sachverhalt war folgender: Die Schwester klammerte sich, da sie immer den geschäftlichen Teil versah, in ihrer Not an einen Bekannten. Das denunzierte die Konkurrenz. Nach dem physischen Schock der Pogrome bekam sie Angst und rückte nach Holland aus. Als ihr Mann das erfuhr, verkaufte er zum Schein das kleine Karussell für 100 Mark – der wirkliche Wert belief sich auf 6000 Mark – und fuhr der Schwester nach. Sie trafen sich bei der jüngsten Schwester, die inzwischen die beiden Jungen an verschiedenen Stellen untergebracht hatte. Die Schwester und der Schwager fuhren nun zu den Leuten, wo der jüngere Sohn untergebracht war, dort wurden alle drei bei einer Kontrolle von der Polizei aufgegriffen und die holländische Polizei beförderte alle drei wieder zurück über die Grenze und übergab sie dort der Gestapo. Während auf Wunsch meiner Schwester der Junge bei den erwähnten Bekannten in Dortmund-Hörde untergebracht wurde, kamen Schwester und Schwager in das Gestapo-Gefängnis Dortmund-Steinplatz. Den kleinen beförderte ich nun wieder zurück nach Neuwied zu den Eltern und begab mich dann mit einem Bekannten zur Gestapo nach Dortmund-Hörde, um die Freilassung meiner Verwandten zu bewirken. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass dieses von meiner Seite aus mehr als gewagt war, aber in diesem Falle war ja der Schwager, der zwar als Arier galt, in Wirklichkeit aber ein jüdisches Aussehen hatte, als der, auf den ich mich stützen konnte. Jedenfalls kamen die beiden nach drei Wochen wieder frei. Der kleine wurde nun wieder nach Holland gebracht und blieb vorläufig dort. Die beiden Gauner aber, welche den Scheinvertrag mit dem Schwager tätigten, gaben nun das Karussell nicht wieder heraus und erklärten den Vertrag für echt.

Der Kriegsbeginn 1939

So kam das Jahr 1939 und die Schwester und der Schwager fuhren mit uns nach dem Osten und betätigten sich in unserem Geschäft. Die Schwierigkeiten wuchsen und wuchsen und ich empfand es schließlich als Erlösung, als der Krieg ausbrach. Der Schwager, den wir selbst als Nichtjuden betrachteten wurde eingezogen, die Schwester bekam Unterstützung und fuhr zurück nach Neuwied zu den Eltern. Wir befanden uns damals unerkannt in Weidenau (Ostsudeten) etwa 12 km von der schlesischen Grenze entfernt. Wir dachten dort Anfang und Ende des Krieges zu erleben. Als Wandergewerbetreibende waren wir nicht meldepflichtig, d.h., wir durften nicht allzu lange auf einem Platze sein, da die Aufenthaltsgenehmigung jeweils befristet war. Jedenfalls konnte man sich so helfen, und es wäre uns auch viel erspart geblieben, wenn ich hätte schweigen können.

Im Winter 1939/40 fuhren wir einige Wochen nach Neuwied zu den Eltern. Mein Vater und ich gingen abends zu einem bekannten Förster in der Feldkircher Straße, ein kleines Häuschen neben der früheren Bürstenfabrik Loeb, wo wir gemeinsam den ausländischen Rundfunk hörten, was uns sehr interessierte. Zu jener Zeit eröffnete uns unsere liebe Mutter ein Geheimnis, nämlich, dass sie unehelich geboren sei, der Vater war christlich, stammte aus Aachen, so dass ihn die Mutter meiner Mutter nicht heiraten durfte. Meine Mutter wurde jedoch rein jüdisch erzogen, die Großmutter wurde geisteskrank und starb nach langjährigem Aufenthalt in der Heilanstalt Andernach. Wir überlegten und klammerten uns an diesen Strohhalm der Abstammung mit dem einen Ziel, zu retten, was zu retten geht. Wir hofften auf die Zeit, glaubten an den Londoner Rundfunk, der sagte, dass der Krieg nicht lange dauere, jedoch später kamen Widersprüche. Ein nicht mehr zugelassener Rechtsanwalt aus Köln stellte den Antrag, aus Gründen der Abstammung uns, d.h. die Kinder, als Mischlinge ersten Grades zu betrachten. Dass nach Lage der Sache an eine Anerkennung nicht zu denken war, wusste ich, jedoch ich suchte, immer Zeit zu gewinnen.

Meine Frau reiste nach Berlin, lernte dort einen ehemaligen Pförtner vom Reichstag namens Georg Kaufmann kennen, der am Kurfürstendamm wohnte und der nach dem Reichstagsbrand in der Bellevuestraße 3 gegenüber dem Volksgerichtshof Dienst tat. Kaufmann, der mit einem Bekannten vom Rassepolitischen Amt am Schiffbauerdamm in die Angelegenheit eingeweiht wurde, bewegte diesen Bekannten, den Antrag in die Versenkung zwischen andere Akten zu legen. Gleichzeitig ließ er durch einen Beamten am Reichsinnenministerium ein paar Zeilen schreiben, wonach die Angelegenheit Meyer in Bearbeitung sei und als schwebend betrachtet werden müsse. Mit diesem Zettel versuchten wir uns so gut es ging zu helfen. Im Frühjahr 1940 bauten wir in Weidenau, wovon schon die Rede war, die sogenannte Raupenbahn auf und spielten dort sonntags, nahmen soviel ein, dass wir leben konnten und schickten auch den Eltern etwas. Wir hörten den ausländischen Rundfunk und hofften auf das Ende.

Auf demselben Platzstand noch eine Schießbude, der Besitzer, ein durch Trunk heruntergekommener Breslauer, wusste von mir und aus irgendeinem nichtigen Anlass erzählte er im Suff den Nachbarn wer ich war. Man fing in dem kleinen Ort (2000 Einwohner) zu tuscheln an, hinzu kam, dass in diesem fanatischen Gebiet, wo nur der Hitlergruß angewandt wurde, ich es erreicht hatte, dass nach einigen Monaten ein großer Teil der Bevölkerung und sogar der Ortsbauernführer mit „Guten Tag“ oder „Grüß Gott“ oder sonst wie grüßten. Es war dieses meine eigene Methode, ohne jemanden etwas darüber zu sagen, versuchte ich die Menschen von Hitler abzubringen. Im Gespräch mit den Bewohnern verstand ich es, ohne dass diese es selbst merkten, Misstrauen gegen die Nazis zu erwecken. Mein Vertrauter war dort ein Kommunist, der schon einmal eingesperrt worden war und der nun im Steinbruch arbeitete, fleißig den Rundfunk abhörte, jedoch das Gehörte ganz falsch wiedergab, der auch gern einen trank, der viel erzählte und auch sonst unvorsichtig war. Ich warnte ihn öfter. Der zweite Vertraute war der Bruder des Pfarrers. Es war inzwischen Herbst geworden, als das Geraune über mich anfing, wir brachen das Karussell ab, ließen die Wagen auf dem Platze stehen, deckten sie mit Dachpappe ab, und wir fuhren wieder nach Neuwied zu den Eltern und dachten: aus den Augen, aus dem Sinn.

Inzwischen erhielt ich wie aus heiterem Himmel vom Polizeipräsidium in Köln eine Zuschrift, dass nach Mitteilung des Rassepolitischen Amtes in Berlin ich ein Jude und als solcher einzuordnen sei. Das kam so: Der Beamte im Rassepolitischen Amt, der den Antrag versteckt hatte, erkrankte. Der Stellvertreter stöberte alle Akten durch und fand meinen Antrag. Den Entscheid wussten wir im voraus. Der stellenlose Rechtsanwalt von Köln formulierte einen neuen Antrag, meine Frau fuhr wieder nach Berlin, stöberte den erkrankten Beamten auf, der nach seinem Dienstantritt den Antrag erneut zwischen die Akten legte und auf diese Art versuchten wir uns zu helfen. Und wir hofften: Zeit gewonnen – alles gewonnen.

In Neuwied war es auf der ganzen Linie trostloser geworden. Beschlagnahmen von Decken und Betten für die „armen Soldaten“, dauernde Schikanen der Behörden, nur im Dunkeln gaben die Bäcker Brot, meine Frau und mein Sohn holten damals die Lebensmittel ein, damit wir nicht zuviel in die Öffentlichkeit zu gehen brauchten. Die Gänge zu den Behörden unternahm meine Frau, um schon in der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass meine Angehörigen und ich nicht alleine standen. Jedoch die wenigen Wochen gingen herum. Wir mussten wieder zurück nach Weidenau. Dort war es still geworden. Meine Vertrauten brachten die Gerüchte auf ihre Art zum Schweigen, und die Jugend freute sich wieder auf das Karussell im Frühjahr. Der damalige Winter war furchtbar, wir brachten unsere Zeit bei 36 bis 40 Grad unter Null im Wohnwagen zu und mussten öfter mit der Lötlampe die Fenster und die Tür lostauen, welche zugefroren waren. Die Bettdecken froren an den Wänden fest, und wir hatten alle drei erfrorene Beine und Füße.

Mit dem Herannahen des Frühjahrs [1941] reparierten und malten mein Sohn und ich so gut es ging, das Karussell und bauten mit Hilfe einiger Arbeiter die Bahn wieder auf. Um den besoffenen Schießbudenbesitzer zu irritieren, zeigte ich ihm bei dieser Gelegenheit das Schreiben, wonach die Angelegenheit Meyer als schwebend zu betrachten sei. Doch der Sadismus, der so vielen Menschen innewohnt, trieb diesen Kerl dazu, mich erneut zu denunzieren. Ich bekam Wind davon, dass er nicht nur allein, sondern auch die Frau eines Arbeiters, die in einer Baracke am Platze wohnte, bei der Behörde Anzeige erstattete, sie könnten immer deutlich hören, wie ich im Rundfunk fremde Sender empfing. Ich würde mitunter toben und brüllen: „es ist ja alles Schwindel, was die Nazis bringen.“ Außerdem hätte ich ihrem Mann geraten, er solle alle Hitler-Bilder usw. verschwinden lassen, wenn die Russen kämen. Als ich ihren Kindern zu Weihnachten kleine Überraschungen von meiner Frau überbrachte, zielte ihr kleiner Junge aus Spaß mit einem kleinen Eureka-Gewehr auf mich, worauf ich ihm sagte: „Du musst nicht auf mich, sondern auf dieses Bild schießen.“ Hierbei zeigte ich auf das Hitler-Bild an der Wand. Diese Frau, die soviel Gutes mit ihren Kindern von meiner Frau erfuhr, zeigte mich also an.

Es war nun ein Trick meiner Frau, überall dort, wo wir hinkamen, die Polizeibeamten zu kaufen, damit, wenn einmal etwas kam, dem Schlimmsten die Spitze abgebrochen war. So auch in Weidenau. Den betreffenden Beamten, der uns Wind gab, überzeugte meine Frau davon, dass alles Schwindel sei, denn die Frau war schlecht beleumundet und der besoffene Schießbudenbesitzer nicht glaubwürdig. Wir brachen jedoch sofort das Karussell ab und fuhren etwa 20 Km von dort entfernt nach Patschkau auf oberschlesisches Gebiet. Die Bewohner, die sich mehr für Heeresberichte interessierten, vergaßen uns, das übrige machten meine Vertrauten. Um in Patschkau nicht in direkte Berührung mit der dortigen Behörde zu kommen, machten wir uns an einen dortigen Schiffschaukelbesitzer heran, der als Volksfestunternehmer auftrat und uns die Erlaubnis zum Spielen gewährte. Wir bauten auf, spielten dort einige Sonntage, bauten ab und stellten das Karussell auf den Platz, d.h. im Hof des Gasthauses Gasocke ein. Inzwischen hatte meine Frau Kontakt mit dem Polizeimeister aufgenommen, um etwaigen Möglichkeiten wieder die Spitze zu nehmen, ebenfalls reiste sie wieder nach Berlin zu dem Beamten am Schiffbauerdamm, damit ja der Antrag zwischen den Akten liegen bliebe. In Köln brachte es meine Frau fertig, ihren Wandergewerbeschein zu verlängern, indem sie angab, ihr Mann (also ich) wäre seit längerem flüchtig, sie wäre allein. Dadurch erhielt sie einen Ausweis und die Wanderpersonalkarte für Lebensmittel, die sie ja nun nicht mehr für mich bekam.

Wieder wurde es Herbst [1941] und wir fuhren im November nach Neuwied zu den Eltern. Dort war es unter dem Nazidruck noch furchtbarer geworden. Bei jedem harten Tritt (und die Herrenmenschen hatten alle harte Tritte), der auf der Treppe hörbar wurde, zuckten die armen Eltern und die Schwester Rosa zusammen. Sie atmeten erleichtert auf, als wir kamen, da sie sich wieder für einige Wochen von meiner Frau beschützt fühlten. Wir brachten genügend mit zu essen, und ich sehe noch heute, wie es ihnen schmeckte. Es waren nur noch wenige Bäcker, die ihnen Brot gaben. In Heddesdorf gab keine Bäckerei mehr Brot für die Juden. Während unseres Aufenthaltes waren sie ja diesen Sorgen enthoben. Es gab kaum einen Menschen, ob Nazi oder nicht, der auf sie achtgab, die vorgeschriebenen Ausgehzeiten einzuhalten. Der Vater war damals fast 72jährig, vollkommen zermürbt und trotzdem musste er in jenem harten Winter auf die Straße, um mit den anderen Juden Eis zu hacken. Aber das raubte ihm, der ja an Arbeiten gewöhnt war, nicht den Lebenswillen, denn als meine Frau vorschlug, um allem ein Ende zu machen, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden (d.h. sie mit uns) und den Gashahn aufzudrehen, winkte der Vater ab und meinte, damit haben wir immer noch Zeit.

Das einzige, was noch damals von seinen Karussells vorhanden war, war eine Drehorgel, die in der Werkstätte hinten im Hof stand. In dieser Orgel hatte der Vater sein Versteck, d.h., in den Holzpfeifchen und Bässen verstaute er die Lebensmittel, die wir ihm schickten, um sie dem Zugriff der braunen Horden zu entziehen, die oft unter allerlei Vorwänden Haussuchungen vornahmen. Ein letztes Goldstück, welches er absolut meiner Frau geben wollte, diese aber nicht annahm, verbarg [er] in einem Blumentopf. Das einzig Positive in damaliger Zeit war, dass die reichen Juden zu den armen fanden.

Es fingen die Gerüchte an, die von Deportierung sprachen, und die sich immermehr verdichteten. Die Juden mussten aus ihrem Besitz heraus und zusammen in zugewiesene Wohnungen ziehen. Wir drei reisten nach einigen Wochen wieder zurück nach Patschkau in unseren Wohnwagen. Da der Winter wieder so streng wurde, mietete meine Frau in einem einsamen Bauernhof, der keine halbe Stunde außerhalb von Weidenau lag, bei einer bekannten Bäuerin eine Stube, wo wir untertauchten. Nach einigen Wochen erschien eines Tages ein Gendarmeriebeamter, der mich vorführen wollte. Zum Glück war ich nicht da, meine Frau stöberte mich bei einem Vertrauten auf, ich ging darauf sofort zu Fuß nach Neiße O[ber]S[chlesien], etwa 20 km entfernt. Es war damals 26 bis 28 Grad unter Null, und es lag ein halber Meter Schnee. In Neiße tauchte ich im Bahnhofsviertel unter, verabredet wurde, dass meine Frau mir am nächsten Tag Bericht erstatten konnte. Am nächsten Morgen wurde meine Frau vorgeladen. Der Gendarmeriemeister, der auch schon mal bei mir ein Wort hatte fallen lassen, was er nicht durfte, hatte, als bekannt wurde, dass wir in dem Gehöft untergeschlüpft waren, nichts Eiligeres zu tun, als in Köln-Kalk einen Personalauszug anzufordern, den er meiner Frau vorlegte. Es gab da nicht viel zu lügen, das einzige, was sie tun konnte, war, ihm das Schreiben zu zeigen, das die Angelegenheit Meyer als schwebend zu betrachten wäre. Ferner erklärte sie ihm, dass ich wegen Beschaffung von Ersatzteilen unterwegs sei. Ich sollte mich dann nach meiner Rückkehr melden. Diesen Bericht gab mir meine Frau, brachte gleichzeitig Wäsche und Lebensmittel mit, ich reiste am nächsten Tage ab, blieb kurze Zeit bei meinem Bekannten Georg Kaufmann und von dort nach Neuwied zu den Eltern.

Diesen Winter, also 41/42, hielt ich mich dann etwa drei Monate abwechselnd in Neuwied und dann in Köln bei dem ältesten Bruder meines Vaters in der Isabellenstraße, dann bei den Verwandten meiner Frau in Frechen bei Köln und bei einer Verwandten, die in Köln am Westbahnhof mit dem Wohnwagen stand, auf. Meine Frau schickte mir ihre Lebensmittelkarten, sowie Lebensmittel an die Eltern, die sie von der Bäuerin erhielt, die ihr auch das Essen gab. Dafür musste meine Frau dort arbeiten. Es sollte der letzte Winter sein, den ich mit meinen Lieben zusammen war und ich vergesse den Abschied nie, als ich gegen das Frühjahr zurück nach Patschkau in unseren Wohnwagen reiste, wohin meine Frau und der Sohn inzwischen zurückgekehrt waren.

Beim Aufbau des Karussells Ende März 42 erhielten wir die Nachricht, dass die Schwester Rosa mit dem ersten Transport deportiert wurde. Als ich vorher von zu Hause Abschied nahm, hatte ich ihr Mut zugesprochen und sie aufgefordert, mir sofort ihre Adresse zu schicken, damit wir an sie herankönnten, wir fänden dann schon Wege, sie zu retten. Sie solle nur aushalten, denn es würde alles bald zu Ende sein. So sollte es auch kommen, doch in umgekehrten Sinn. Die Adresse meiner ältesten Schwester, von unbekannter Hand geschrieben, gelangte über die Eltern zu uns, sie war außer einer Karte, die die Schwester unterwegs schreiben konnte, das einzige Lebenszeichen, und von dem Schicksal dieses Transportes, der am 30.3.42 von Neuwied wegging, wurde nichts bekannt. Pfingsten 1942 war die Neuwieder (früher die Heddesdorfer) Kirmes. Die Schausteller, die damals auf dem Kirmesplatz standen, berichteten mir, dass sich der Vater und die Mutter im Dunkeln um die Wohnwagen herumgeschlichen hatten, mit ihren Sternen an der Brust, es waren die letzten Begegnungen mit ihrem Beruf.

Nach Pfingsten schon sahen die auf dem Platze stehenden Schausteller, wie die Eltern mit einem Handwagen ihre letzten Habseligkeiten von ihrem Hause, am Kirmesplatz vorbei, nach der Engerser Straße in das Haus der Geschwister Dahl brachten, wo ein großer Teil der Juden zusammengepfercht wurde, während dieser Zeit wurde der bereits erwähnte Schwager Wilp, d.h., der Mann meiner zweitjüngsten Schwester Frieda, der eingezogen worden war, wieder entlassen. Es stellte sich heraus, dass das, was wir immer vertuschten, Wirklichkeit war, er war jüdischer Abstammung, wenn auch getauft. Er nahm eine Stelle als Kraftfahrer, aber das Kesseltreiben ging nun gegen Schwager, Schwester und die beiden Jungens, die inzwischen von Holland wieder zurück zu den Eltern gekommen waren. Wir selbst bauten, wie erwähnt, zu Ostern 42 in Patschkau O[ber] S[chlesien] das Karussell auf, um an einigen Sonntagen Einnahmen zu bekommen, damit wir uns wieder eine Zeitlang halten konnten. Ich selbst nahm wieder Kontakt mit einigen Vertrauten auf, es führte jedoch bald soweit, dass ich populärer wurde, wie dieses nach Lage der Dinge zweckmäßig war. Dieses Patschkau war im Gegensatz zu vielen anderen oberschlesischen Städten gegen den Nazismus, und von 10 Menschen grüßten bestimmt neun mit „Guten Tag“. Selbst zu der Deportierung gab sich nicht einmal der Ortsgruppenleiter her, es musste von Neiße, der nächstliegenden größeren Stadt, die Gestapo eingreifen. Diese Einstellung machte mich etwas unvorsichtig. Ich bekam einen Wink, die Luft zu verändern, und dieses so schnell wie möglich! Dieselbe Nacht begaben wir uns ans Abbrechen des Karussells und fuhren nach Münsterberg (Schlesien) auf den Platz „Deutscher Kaiser“, der für diese Zwecke konzessioniert war.

Deportation der Eltern in das KZ Theresienstadt und Tod der Mutter

Inzwischen drehte es sich in Neuwied nur um die Deportierung. Meine Mutter die fast ein über den anderen Tag etwas Neues über diese Dinge wusste, wollte uns so gerne noch einmal sehen. Meine zweitälteste Schwester (Ergänzung: es handelte sich um die Schwester Emma), die in Giengen a. Brenz wohnte, christlich verheiratet war und dort arbeiten musste, bewog ich zu den Eltern zu reisen und ihnen behilflich zu sein. Desgleichen bewog ich meinen Onkel dazu, den schon erwähnten Bruder meines Vaters, der in Mischehe lebte. Ich selbst wäre zu jener Zeit selbst gefahren, es setzte jedoch in Münsterberg ein Kesseltreiben gegen mich ein, dass meine Frau zunächst durch Lügen und Bestechen des Polizeileiters abdämpfen konnte, sich jedoch durch meine Abwesenheit hätte verschlimmern können. Es war den Eltern bekannt geworden, dass sie nach Theresienstadt kämen. Ich werde nie den Tag vergessen, (den 27. Juli 1942) da ich die Nachricht erhielt, dass die Eltern deportiert wurden, während ich mit ansehen musste, wie sich Nazi-Deutschland auf dem Karussell amüsierte. Meine einzige Hoffnung war, und das teilte ich den Eltern in dem damaligen letzten Schreiben mit, dass ich oder besser gesagt meine Frau in Theresienstadt an sie herankommen würde, da die Entfernung von Schlesien nach dort nicht allzu weit war. Die letzte Karte von der Reise Neuwied-Theresienstadt schickte die Mutter von Leipzig, ich habe sie noch in Besitz. Anfang Oktober machte ich mich über Dresden nach Theresienstadt auf den Weg. Zu dieser Zeit erfuhr ich durch das Fachblatt „Komet“, dass sich in Bodenbach, also in Richtung Theresienstadt, eine Frau Weidenauer mit einer Schaubude befand. Diese Frau war Jüdin, ich kannte sie und wusste, dass sie in der dortigen Gegend reiste. Durch sie dachte ich Kontakt mit Theresienstadt zu bekommen. Die Frau war drei Tage vorher wieder auf reichsdeutsches Gebiet zurückgekehrt, wie man mir berichtete. Meine Hoffnung, durch Frau W., von der ich vermutete, dass sie in dortiger Gegend bekannt wäre und dass sie mir Winke geben könne, wie ich an Theresienstadt herankäme, musste ich aufgeben. So machte ich mich unauffällig im Bahnhof Bodenbach an Reisende heran, um etwas zu erfahren. Man warnte mich, und so fuhr ich unverrichteter Dinge wieder zurück nach Münsterberg. Am 25. Dez. 1942 erhielten wir morgens einen Brief von meiner zweitjüngsten Schwester aus Neuwied, der eine Postkarte enthielt aus Theresienstadt, von einem Fremden geschrieben, doch mit der Unterschrift meines Vaters, dass meine Mutter am 11. Oktober verstorben wäre. Diese Nachricht packte mich furchtbar, ich machte mir Vorwürfe, dass ich im Oktober, es muss gerade die Zeit gewesen sein, als die Mutter starb, nicht den Mut fand nach Theresienstadt durchzukommen. Ich wusste, dass die Mutter ihre letzten Gedanken bei uns und auch bei mir hatte. So machten wir uns nach Empfang der Nachricht reisefertig, meine Frau und ich reisten am 26.12.42 zusammen, es hielt mich nichts mehr, ich wollte nach Theresienstadt. Wir fuhren bis Lobositz, stellten unser Gepäck in einen Gasthof und gingen zur nächsten Straßenkreuzung. Ein Wegschild zeigte an: Theresienstadt 5 Km. Wir pilgerten die Landstraße nach Theresienstadt zu und stießen nach etwa 20 Minuten auf einen älteren Straßenwärter, unterhielten uns mit ihm über Theresienstadt und erklärten ihm, dass wir auf Geschäftsreise aus dem Westen kämen und einem Bekannten, der einen Verwandten in Theresienstadt habe, etwas von diesem berichten wollten. Der Straßenwärter warnte uns, weiterzugehen, da in der Nähe die SS Streifen mache. Er verriet uns jedoch, wie wir unserem Ziele näherkommen könnten, und zwar sollten wir den Zug benutzen, der auf der anderen Seite der Elbe nach Leitmeritz, welches gegenüber von Theresienstadt liegt, fährt. Wir übernachteten in dem Gasthof und fuhren am nächsten Morgen nach Leitmeritz, welches stark von SS belegt war. Dort suchten wir einen Gasthof auf und erfuhren, dass unsere Leute von Theresienstadt jeden Morgen zum Arbeiten an eine Baustelle kamen, die unmittelbar beim Überschreiten der Elbbrücke von Leitmeritz nach Theresienstadt rechts einbiegend läge. Th[eresienstadt], welches von Bäumen umgeben war, lag etwa eine halbe Stunde weiter. Sofort machten wir uns auf den Weg über die Brücke, bogen rechts auf einen Weg ab und gingen einige Minuten weiter. Dort sahen wir schon von weitem, wie Leute mit ihrem gelben Davidstern arbeiteten, d.h., sie verlegten eine Straße mittels kleiner Kippwagen und einer kleinen Diesel-Lokomotive. Wir sahen uns dieses eine Zeitlang an und überlegten. Der Fahrer des Zuges kreuzte den Weg etwa 200 m von uns entfernt und kam 15 Minuten später wieder zurück, nachdem die Kippwagen entleert waren, kehrte er wieder um, um erneut zu laden. Ich ließ meine Frau zurück, ging als harmloser Spaziergänger weiter an einer kleinen Baracke vorbei, die ein Aufenthaltsort zu sein schien und vor deren Tür ein jüdischer Aufseher stand, wie ich feststellte. Ich spazierte harmlos mit einem [fehlen zwei Worte] an ihm vorbei bis zur Kreuzung, wo nach meiner Berechnung der Zug vorbeikommen musste und auch kam. Im Vorbeifahren sagte ich unauffällig zu dem Lokomotivführer: „Was macht mein Vater Wolf Meyer, L b609?“ (Dieses war die Bezeichnung der Straße, wo der Vater wohnte.) Dann ging ich harmlos weiter, den Zug nicht aus den Augen lassend. Als derselbe wieder zurückfuhr und kreuzte, war ich wieder zur Stelle und fragte. Der Lokomotivführer sagte ebenso unauffällig wie ich: „Den Vater kenne ich nicht, kommen sie morgen früh wieder.“ Unsere Leute gingen abends ins Lager nach Th[eresienstadt]. Er wollte wohl sich dann nach meinem Vater erkundigen und am anderen Morgen berichten. Erleichtert ging ich zu meiner Frau zurück, wir hatten wenigstens einen Anfang, dann kehrten wir zurück zum Gasthof. Nachmittags zog es mich wieder zur Arbeitsstätte, jedoch sahen wir diesmal schon von weitem deutsche Posten, so dass wir in einiger Entfernung stehen blieben und uns in ein Gespräch mit einem deutschen Bauführer einließen. Zuerst ganz harmlos eine Zigarette rauchend, merkten wir bald, dass er kein Schlimmer war. Auch ihm erzählten wir, dass wir von dem Bekannten aus dem Rheinland geschickt waren, der etwas von seinem Verwandten wissen wollte. Er ließ mich jedenfalls etwas weiter laufen, aber die Posten waren zu nahe an unseren Leuten, so dass ich es aufgab. Wir verabredeten uns mit dem Bauführer für den Abend in dessen Wohnung. Dort wollte ich ihn bewegen, mir Arbeitskleider zu leihen, in welchen ich dann den nächsten Abend mit ins Lager marschieren wollte, einen Davidstern hatte ich bei mir, den gab mir meine Mutter einmal, da sie sich vorsichtigerweise mehrere anfertigen ließ. Diesen Stern habe ich noch heute auf meinem Schreibtisch in einem Glasrahmen stehen. Der Bauführer, der an diesem Abend mir nur sehr zögernd seine Zustimmung gab, hatte am nächsten Morgen Bedenken und kippte um. Wir hatten an diesem Morgen Glück vor den Posten, die außer Reichweite waren. Mit dem Posten, der Eingangs des Weges spazierte, einem Landser, unterhielten wir uns harmlos bei einer Zigarette, dass ich mal austreten musste fiel ihm nicht auf, auch dass ich zum Austreten bis zur Kreuzung kam, merkte er nicht. Der Lokführer jedoch merkte es und ließ mir beim Vorbeifahren Grüße vom Vater bestellen. Im Zurückgehen fragte ich unauffällig einen, ob sie auch die Pakete bekämen, was er mir bejahte. Wir fuhren nun zurück bis Lobositz, wo wir sofort zwei untergestellte Pakete für den Vater aufgaben, und von dort fuhren wir weiter nach Münsterberg, wo uns unser Junge mit Unruhe erwartete.

Der Kummer über den Verlust der Mutter beruhigte sich etwas, da wir von Vater wussten und ihn unterstützen konnten. Wir haben sofort einen Bericht an meine beiden Schwestern nach Gingen bei Ulm und nach Neuwied, von Leitmeritz sandten wir ihnen bereits Ansichtskarten mit dem Bemerken, dass wir nicht weit von Vater schliefen. Gleichzeitig vereinbarten wir, dass am 1. und 15. jeden Monats meine Frau, und in der Zwischenzeit die Schwestern Pakete bis zu je 2 kg zum Vater schickten. Vorschrift, war, pro Monat nur ein Paket zu senden, aber wir störten uns nicht daran und hofften, den Vater am Leben zu halten. Bestätigungskarten des Empfangs haben wir noch zum Teil im Besitz.

Der Überlebenskampf geht weiter

In Münsterberg angekommen, überraschte uns eine Zustellung des Polizeiamtes, welches vom Polizeipräsidium Köln aufgefordert war, festzustellen, ob ich im Besitz der Judenkennkarte und sonstiger Formalitäten sei, da ich als rassisch eingeordnet gelte. Ebenso seien Feststellungen über meinen Sohn zu treffen. Dem sehr empfänglichen Polizeileiter erzählte meine Frau, dass die Sache noch nicht geregelt sei. Der Kölner Beamte wäre wohl nicht richtig im Bilde, die Sache sei nach wie vor als schwebend zu betrachten. Sie zeigte ihm das betreffende Schreiben von Berlin und erklärte ferner, dass ich zur Zeit auf Reisen zum Beschaffen von Ersatzteilen sei, und sobald ich zurückkäme, würden wir gemeinsam zur Klärung der Sache nach Berlin fahren.

Es war Winter, ich verkroch mich im Wohnwagen, der abseits und ungestört stand, und wir ließen vorläufig alles laufen. Meine Frau fuhr im Anschluss an die Besprechung nach Berlin, um festzustellen, was in der Zwischenzeit geschehen war. Der Beamte am Schiffbauerdamm wurde versetzt, der Nachfolger bekam den Antrag in die Hand, und es erging eine 2. Ablehnung nach Köln, wir wurden in Münsterberg aufgestöbert, worauf das erfolgte, was bereits erwähnt ist. Meine Frau fuhr anschließend nach Köln und Neuwied, bestellte die Schwester von Gingen nach dort, erzählte beiden Schwestern von der Reise nach Th[eresienstadt] sowie von der Ablehnung des Antrages. Da dieser nur von mir gestellt wurde, wussten die Behörden von Gingen und Neuwied nichts von der Ablehnung. So gab meine Frau den Schwestern die Richtlinien, wie sie sich verhalten sollten, d.h., sie sollten die Behörden im Glauben belassen, dass die Angelegenheit noch nicht entschieden sei, und daher konnte man sie weiter als schwebend behandeln. Gleichzeitig gab sie den Schwestern Abschrift des besagten Berliner Schreibens. Da in Neuwied jedoch der Druck gegen Schwester, Schwager und die beiden Jungen immer stärker wurde, ging meine Frau einige Male zu dem Polizeileiter Bonn, der auch politischer Leiter war. Sie erzählte ihm von den Verhandlungen, die bestimmt gut ausliefen und bat ihn, tolerant zu sein, zumal die Sache ja bald geklärt wäre. Außerdem fuhr meine Frau zu dem Rechtsanwalt Dr. Treidel nach Koblenz, der die Deportation der Juden aus dem Bezirk Koblenz gemeinsam mit der Gestapo durchführen musste und bat auch ihn um Aufschub, um nur Zeit zu gewinnen. Nachdem meine Frau den Schwestern so Trost zugesprochen und sie zum Aushalten ermuntert hatte, kehrte sie, unterwegs von vielen Fliegerangriffen erschöpft, nach Münsterberg zurück. Mein Sohn, der zusammen mit mir damit beschäftigt war, das Karussell zu reparieren und anzustreichen, lernte inzwischen auf einer Hamstertour einen ledigen Landwirt kennen, der gerne fremde Sender hörte, jedoch zu Hause zu bange war und deshalb jede Woche zu uns kam, um sich zu informieren. Er war Gegner der Nazis und versorgte uns mit dem was für Th[eresienstadt] bestimmt war. Außerdem tauchte ich, wenn ich es für erforderlich hielt, bei diesem Mann für einige Tage unter. So schleppten wir uns in das Jahr 1943.

Einige Wochen später trieb mich die Sehnsucht wieder nach Theresienstadt. Gemeinsam mit meiner Frau, ohne die ich wohl kaum den Mut hätte aufbringen können, reisten wir wieder nach dort. Wir waren nun schon eingearbeitet und schon bei einigen bekannt, was ich an den Gesichtern feststellen konnte. Diesmal erfuhr ich durch den Lokführer, dass der Vater nach dem Tod der Mutter stark erkrankt, jedoch durch uns den Mut fand, weiterzuleben. Wir waren wieder etwas beruhigt, informierten die Schwestern und schickten in den Paketen das Beste, was aufzutreiben war. Im Februar 1943 erhielten wir plötzlich die Nachricht von Neuwied, dass meine Schwester mit ihrem Mann und den zwei Jungen nach Auschwitz deportiert worden sei. Meine Frau reiste sofort nach Neuwied und legte in überfüllten Zügen, mitunter stundenlang stehend und Fliegerangriffen ausgesetzt 2200 Km zurück. Dort erfuhr sie, dass der Polizeileiter bei der Heimatbehörde des Schwagers festgestellt habe, dass dieser jüdischer Abstammung sei, worauf die Deportierung der Familie erfolgte. Die jüngste Schwester Johanna, die inzwischen in Holland einen jüdischen Mann, Norbert Guntersheim, geheiratet hatte, schrieb uns über die zweitälteste Schwester einen trostlosen Brief, als sie vom Tode unserer Mutter hörte. Auch ihr schickten meine Schwester und meine Frau abwechselnd Pakete. Meine Schwester in Holland war z.Zt. in einem Kamp bei Drente.

Erneuter Versuch der Kontaktaufnahme in Theresienstadt

 

Einige Wochen später, im März [1943] drückte die Sehnsucht nach Th[eresienstadt] wieder so sehr, dass meine Frau und ich uns auf den Weg machten. Es klappte alles. Der Posten am Eingang des Weges, dem wir unsere Geschichte vom Bekannten Unbekannten erzählten, meinte, „da braucht ihr ja gar nicht weit zu gehen – dort in der kleinen Baracke rechts (100 m von da, wo wir uns befanden) arbeitet einer an einer Feldschmiede.“ Ich ging vor, stand in der Baracke, da rief mir auch schon der junge Heinz Lichtenstein aus Oberwesel zu, der dort arbeitete: „Guten Tag Herr Meyer! Kennen sie mich denn nicht mehr? Ich habe früher immer mit euch Karussell gefahren.“ Ich sah ihn scharf an, er sollte mich doch nicht erkennen, denn wir mussten doch unerkannt bleiben, um zu helfen. Der Junge verstand meine Blicke nicht und redete weiter von seiner Braut in Köln, der ich Grüße ausrichten solle, welche Zeitungen ich ihm besorgen solle, dass es meinem Vater noch gut gehe, dass hauptsächlich Fett benötigt werde usw. und so fort, zum Schluss meinte er, wir würden bald wieder Karussell fahren können, im Juli wäre alles aus. Als ich mich währenddessen herumdrehte, stand der Posten hinter mir, ich hatte ihn nicht herankommen hören. Meiner Frau, die ihn in ein Gespräch verwickelte, damit ich ungestört sprechen sollte, war er ausgerückt, wahrscheinlich war ich ihm zu lange in der Baracke. Jedenfalls hatte er einen Teil der Unterhaltung mitangehört, und als ich mich herumdrehte und wir uns ansahen, nickte er mit dem Kopf und sagte: „Ach, so sieht also die Sache aus!“ Ich trat aus der Baracke, reichte ihm eine Schachtel Zigaretten: „Nun verschwinden sie aber schnell.“ Er war noch anständig. Wir mussten deshalb vorerst unsere Besuche dort einstellen.

Weiter auf der Flucht bis Kriegsende

Das Frühjahr kam, das Geld wurde knapp, und bei allem Elend musste das Karussell aufgebaut werden, damit wir weiter leben und schicken konnten. In Münsterberg war ein einziger Mensch, ein Dachdecker, den ich kennenlernte, der auf meiner Linie stand, im übrigen waren die Bewohner im Unterschied von Patschkau schwer nazistisch. Wir gastierten von Ostern bis Pfingsten, d.h., nur an den Sonntagen. Durch einen Zwischenfall war es ratsam schnell zu verschwinden. Es war nämlich den Polen verboten, den Platz zu betreten, jedoch ließen wir sie genauso Karussell fahren wie die anderen, im Gegenteil, meine Frau teilte fleißig Freikarten an sie aus. Es wurde ruchbar, es gab ein furchtbares Theater, meine persönliche Zuneigung zu den Nazis wurde diskutiert, der empfängliche Polizeileiter beschwichtigte, und wir verschwanden, so schnell wir konnten. Der befreundete Landwirt vom Nachbardorf half mir mit zwei bei ihm beschäftigten Polen beim Abbau.

Wir fuhren nach Ottmachau, etwa 30 Km entfernt, auf den Schützenplatz, der außerhalb des Ortes in einem Park und von Wald umgeben liegt. Wir bauten dort unerkannt für einige Wochen auf. Der dortige Polizeileiter, der auch politischer Leiter war, zeigte sich „empfänglich“ wie alle derartigen Menschen, und je größer die Gefahr für uns wurde, desto mehr spickte meine Frau diese Sorte, um im Ernstfall die Spitze zu brechen. Im Herbst wurde unser Sohn zur Behörde bestellt, dort wurde ihm erklärt, auf Anordnung von Köln müsse er zum Arbeitsdienst und deshalb nach Glatz zur Musterung, Der Junge war verdutzt, meinte dann aber, es müsse sich um einen Irrtum handeln, da er nicht arischer Abstammung sei. Er wurde kurz abgewiesen, das wäre ja Angelegenheit von Köln, da hätten sie nichts mit zu tun. Wir überlegten, und der Junge äußerte: „Vielleicht kann ich euch damit retten, wer weiß, wie lange der Krieg noch dauert.“ Für uns war ja Kriegsende gleichbedeutend mit der Erlösung. Wir ließen also mal alles laufen und hofften auf die Zeit. Es kam der Winter, der Sohn ging zum Arbeitsdienst: Anfang 1944 nach Engelsberg im Sudetengau. Die Instruktionen, wie er sich zu verhalten hatte, bekam er vorher von mir eingeimpft. Das war nicht allzu schwer. Für alle Fälle gab ich ihm die Bestätigungskarte von Theresienstadt mit, die er stets auf der Brust trug. Es war uns bei seinem Weggehen so als ob uns wieder ein Stück aus dem Herzen gerissen würde, aber die Hoffnung auf Befreiung hielt uns aufrecht. Unser Sohn, der auch praktisch auf der Höhe war, konnte sich durch sein Malen und Ausführen elektrischer Arbeiten über ein Jahr beim Arbeitsdienst halten, das Übrige besorgte meine Frau. Beim Aufbauen des Karussells in Ottmachau half uns ein Josef Klein (Kommunist), der aus dem KZ entlassen war und unter Polizeiaufsicht stand, sowie ein paar Engländer (Kriegsgefangene), darunter ein Dolmetscher. Wir wurden bald Freunde und zogen den Aufbau sehr in die Länge. Die Engländer brachten Tee, Zigaretten und sonstiges mit, was meine Frau zubereitete. In unserem Wohnwagen herrschte damals eine gemütliche Stimmung, da wir abseits in einem Park standen, wurde zunächst wenig Notiz von uns genommen. Der deutsche Posten machte mit, er war eingeweiht, so dass der Dolmetscher abends aus dem Lager verschwinden konnte, um mit uns und Klein fleißig den Londoner Sender zu hören. Das Spiel ging gut bis zum Herbst, da wurden wir verwarnt. Klein arbeitete außerdem mit einer Bewegung in der CSR zusammen. Er wollte mich mit hineinhaben. Ich lehnte ab, weil ich zu große und schlechte Erfahrungen hierbei gemacht hatte und arbeitete auf eigene Faust, wo immer ich Gelegenheit dazu hatte, auf meine Art. Ein einziger Vertrauter, den ich in Ottmachau hatte, meinte einmal: “Sie sind glatt wie ein Fisch. Aber Sie sind vorsichtig.“ Ottmachau war ein furchtbares Nazinest. Die Gastwirtin des Schützenhauses ließ meine Frau kommen und sagte ihr, sie solle auf mich einwirken, den Verkehr sofort aufzugeben, denn es sei ruchbar geworden, auch sei man durch Äußerungen von mir aufmerksam gemacht, usw. usf. Meine Frau beschwor mich, ja nicht leichtsinnig zu werden. Ich versprach es auch und fuhr zu meinem Bekannten, dem Landwirt, um für einige Zeit aus den Augen und somit aus dem Sinn zu kommen.

Inzwischen erhielten wir aus Holland einen Brief zurück, der an meine jüngste Schwester adressiert war. Der Vermerk darauf lautet „Abgereist“. Wir wussten Bescheid. Kurz darauf erhielten wir ein Schreiben meiner zweitältesten Schwester aus Gingen, dem ein Brief der jüngsten Schwester beigefügt war, worin diese uns mitteilte, dass sie mit ihrem Mann nach Auschwitz deportiert worden sei. Dieser Brief wurde durch einen Posten, der dem Transport zugeteilt war, besorgt. Es war das letzte, was wir von der jüngsten Schwester hörten.

Dann kam 1944. Wir verkrochen uns in den Wohnwagen, hielten uns so unsichtbar wie möglich, schickten programmgemäß die Pakete und erwarteten das Frühjahr, um wieder an Einnahmen zu kommen. In der Zwischenzeit reiste meine Frau nach Köln, sah sich unser zertrümmertes Häuschen und die verwüsteten Schuppen an, dann traf sie sich verabredungsgemäß in Bonn bei ihrer Schwester. Lange bleiben konnte sie nicht, weil ja immer etwas bei mir zu fürchten war. Mit Hilfe unseres Rechtsanwaltes, von Zigaretten und sonstigem bekam sie ihren Wandergewerbeschein und ihre Wanderpersonalkarte verlängert und hatte somit wieder ihren Ausweis. Infolge dauernder Fliegerangriffe, sogar ihr Zug wurde wiederholt beschossen, kam sie nach fünf Tagen erschöpft ohne geschlafen zu haben, wieder in Ottmachau an.

Wir bauten im Frühjahr das Karussell mit Hilfe von Klein und dem Engländer wieder auf, aus Freude über das Karussell dachten die Ottmachauer wohl nicht mehr an das Vergangene vom Herbst vorher. Aber das schlimmste war, dass wir in der Freude auch nicht mehr daran dachten und unvorsichtig wurden. Im Juli 1944 wurde ich zur Behörde bestellt, nichts Gutes ahnend, verkroch ich mich mit meinem bereitstehenden Köfferchen in die Büsche in die Nähe des Wohnwagens, wo ich alles beobachten konnte, und so wartete ich auf meine Frau, die wieder einmal den Gang machen musste. Als es dunkel wurde, schob ich mich dann in den Wohnwagen. Meine Frau lag schluchzend auf dem Sofa, ich konnte sie gar nicht beruhigen, denn der Polizeileiter hatte ihr ein Schreiben der Gestapo gezeigt, es kam aus Neiße, 12 Km von Ottmachau entfernt, wonach ich und Klein dessen beschuldigt wurden, was sich tatsächlich ereignet hatte. Das Schreiben war anonym, wir hatten Verdacht auf einen Posten, einen Sudetendeutschen, der öfters abends im Park mit einem Mädchen spazierte. Dieser galt als übler Bursche und sollte schon im Herbst vorher der Anreger der Unruhen gewesen sein. Die Gestapo verlangte also unsere sofortige Vorführung, es erwartete uns beide Volksgericht und Strang. Es war der heiße Monat des 20. Juli 1942. Meine Frau fiel auf die Knie, rief alle Götter um Hilfe an, ich selbst blieb in dieser Situation ruhig und überlegte. Mein Plan, den ich fasste, wurde ausgeführt. Meine Frau suchte sich den Polizeileiter, von dem ja schon früher die Rede war, am Abend in seiner Wohnung auf und bearbeitete ihn, dass Klein und ich mit dem nächsten Transport, der einige Tage später stattfand, mit Ostarbeitern und sonstigen Gefangenen nach dem Arbeitslager Tschenstochau in Polen mitverfrachtet wurden. Da die Anschuldigungen, die gegen uns erhoben wurden, anonym waren, konnte der Polizeileiter, der ja auch politischer Leiter war, die Gestapo in Neiße irritieren und Denunzierung vorgeben. Diese Sache war hart, aber immer noch das kleinere Übel. Von Klein wollte der Polizeileiter erst nichts wissen, aber meine Frau setzte ihm so zu, dass er einwilligte. Vor meiner Deportierung sorgte ich noch die Wagen und das Karussell nach Patschkau in den Garten des Gasthauses „Deutsches Haus“, versteckt außerhalb der Stadt. Ich wusste, dass der dortige Polizeileiter meine Frau beschützte. Ein paar Polen, die im Hinterbau, d.h., in der Kegelbahn untergebracht waren, weihte ich ein, sie unterstützten auch meine Frau. Wir waren damals überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern konnte und sprachen uns Mut zu. Meine Frau benachrichtigte ihre Schwester in Bonn und meine jetzt noch einzige Schwester in Giengen, worauf beide sofort zu ihr kamen, sie trösteten und ihr Mut zusprachen. Inzwischen setzte die Deportierung der Mischehen, besonders des jüdischen Teils ein. So war es richtig, dass ich als Nichtjude zwischen Ostarbeitern untertauchte. Unser Sohn erhielt telegraphisch Urlaub, ich belehrte ihn noch einmal, wir legten fest, das meine Frau in dem Garten bleiben sollte, und dass wir uns dort bei den Wagen wieder treffen wollten. Sollte der Krieg nach Patschkau getragen werden, so riet ich meiner Frau, rechtzeitig mit dem Wohnwagen etwa 10 Km entfernt auf Sudetengebiet in einen Waldweg bringen zu lassen, den ich kannte, er hieß „Im alten Costal“, hatte eine breite Stelle, gegenüber lag das Häuschen eines Waldarbeiters. So nahmen wir Abschied.

Es kam 1945. Die harten Arbeiten im Lager, die langen Anmärsche zur Arbeitsstelle, mitunter waren es 20 Km am Tag, und das schlechte Essen packten mich so, dass ich erkrankte und in ein Lazarett kam. Als die Russen Anfang 1945 durchrückten, wurden wir nach Oberschlesien verlegt und so fand ich mich im Januar ohne mein Dazutun in einem Krankenhaus in Patschkau. Meine Frau war außer sich. Als wir auch dort wieder weiter verlegt werden sollten, rückte ich des Nachts aus in den Wohnwagen meiner Frau. Zur gleichen Zeit setzten die Todesmärsche von Auschwitz und Bleichhammer nach rückwärts ein. Wie sich später herausstellen sollte, war auch mein Schwager dabei und in einer Nacht in Patschkau. Meine Frau berichtete mir, dass sie eines Tages, als ein Zug die Straße passierte, stehenblieb, um die Gefangenen zu mustern, ob sie einen Bekannten oder Verwandten entdecke. Sie machte ihre Handtasche auf und gab, was sie hatte. Da stürzte sich ein ganzer Haufen über die Tasche her, sie kam zu Fall, und meine Frau lag mitten in einem Menschenknäuel. Die Posten aber schlugen auf alle ein. Dazu sei gesagt, dass die Patschkauer, über deren Abneigungen gegen den Nazismus schon früher berichtet ist, mit Brot und allem, was sie sonst hatten, an den Türen standen und gaben. Meine Frau stand in vorderster Linie, wenn die Elendskolonnen kamen, die nur noch sagen konnten: „Hunger, Hunger“. Nach diesem Erlebnis lag sie selbst vor Aufregung und Kummer tagelang erschöpft und völlig teilnahmslos darnieder.

In meiner Sache war der dortige Polizeimeister informiert. Des Nachts war ich im Wohnwagen, morgens in aller Frühe ging ich los in benachbarte Dörfer. Wenn es zu kalt war oder Regenwetter herrschte, hielt ich mich auf einem Obergeschoss der Kegelbahn, wo Heu lag, auf. Dort befanden sich noch zwei getürmte Engländer. Diese erhielten abends durch ihre Kameraden aus dem benachbarten Kriegsgefangenenlager, die sich heimlich aus dem Lager entfernten, Konserven und andere Lebensmittel. Unser Sohn kam inzwischen nach Dresden. Es setzte Fliegerangriffe auf Patschkau und die Jagd auf Menschen wurde immer größer. Mit Hilfe der beiden Polen und eines Patschkauer Vertrauten wurden der Wohnwagen und ein Schlafwagen für Angestellte zu dem erwähnten „Alten Gostal“ im Sudetengau hingebracht. Die beiden Polen blieben zunächst auch dort, denn die Menschenjagd wurde immer größer und so verkrochen wir uns alle einige Km entfernt vom „Alten Gostal“ in eine Bude. Dort gesellte sich uns noch ein Russe zu. Meine Frau half bei den Bauern – etwa eine halbe Stunde weit entfernt lag der nächste Hof – so war fürs erste gesorgt. Die übrigen Wagen mit dem Karussell blieben in Patschkau. Es kam der Zusammenbruch.

Etwa 14 Tage später besuchte mich ein Vertrauter aus Patschkau auf und bat mich, einige 100 m mit ihm des Weges, auf welchem wir standen, zurückzugehen. Die Stelle war von unserem Wohnwagen infolge einer Wegkrümmung und Buschwerk nicht zu übersehen. Als wir dort ankamen, lag ich meinem Sohn in den Armen, der dort wartete. Er hatte sich mit der Theresienstädter Bestätigungskarte, die ich ihm damals mitgegeben hatte, und mit einem Davidstern, den er sich selbst anfertigte, durch die fremdsprachlichen Linien bis nach Patschkau durchgeschlagen. Der Vertraute brachte ihn zu uns. Es erübrigt sich wohl, auf die Freude meiner Frau einzugehen. Dieser Tag war für uns der erhabendste, jedoch nun lag das Schicksal der anderen zentnerschwer auf uns.

Befreiung? und Heimkehr?

Was sich nach der Befreiung abspielte, und was wir sonst noch erleben mussten, ist so empörend und ekelerregend, dass ich es hier nicht wiedergeben möchte. Ich erinnere mich an den Ausspruch einer jüdischen Frau, die ich in Patschkau kennenlernte. Der Mann war ein entlassener Regierungsrat und beschützte sie über die Jahre des Faschismus. Diese Frau sagte nun eines Tages: „Es sieht so aus, dass wir den Giftbecher, den uns Hitler in die Hand drückte, jetzt wohl austrinken können.“

Wir warteten, bis die zerstörten Brücken aufgebaut waren und versuchten, die Wagen von Patschkau mit dem Karussell auf unser Gebiet, welches inzwischen wieder tschechisch geworden war, herüberzuholen. Es war aussichtslos. Man bedrohte uns, und ich musste für den Sohn das Schlimmste befürchten. Der Rücktransport von Schlesien war unmöglich. Nach vielen Versuchen mussten wir aufgeben.

Während dieser Zeit fahndete ich in Auschwitz nach dem Verbleib unserer Angehörigen, jedoch ohne Erfolg. So kam der Oktober, die Eisenbahnen in der CSR liefen wieder, allerdings mit einzelnen Unterbrechungen. Mit Hilfe eines tschechischen Beamten bekamen wir zwei Waggons. Wir verluden unsere beiden Wagen, nachdem wir uns mit Kartoffeln, Lebensmitteln und Holz versehen hatten. Die Schwierigkeiten der Ausreise waren sehr groß, und so wurde der Tag der Befreiung für uns der Beginn eines neuen und schweren Kampfes um das Bisschen, was wir vor Hitler retteten. Und eines zog mich damals nach Hause: Der Gedanke an den Vater und die Schwestern. Es würde zu weit führen, diese Repatriierung mit allen Widerwärtigkeiten zu schildern. Wir hatten uns doch die Befreiung ganz anders vorgestellt! Aber wir kamen nach Hause, d.h., wir hatten die Wagen nach Köln–Kalk aufgegeben. Als wir in Koblenz einliefen, ordnete ich an, dass die Wagen in Weißenthurm bleiben sollten, ich wollte zuerst sehen, wie es in Neuwied war. Mitte November 1945 rollten die Wagen in Weißenthurm ein. Eine Viertelstunde später flog ich mehr als ich ging über die Behelfsbrücke zum Neuwieder Rathaus. Dort lief mir ein Heddesdorfer Polizeibeamter in die Quere – ich frug: „Wer ist von meinen Leuten wiedergekommen?“ Er sah mich etwas an und sagte langsam: “Bis jetzt Keiner, außer deinem Schwager und einem Sohn von ihm, die zur Zeit am Runkelplatz in Heddesdorf wohnen.“ Ich traf sie dort an, sie waren schon seit Juli hier. Beide wurden in Auschwitz gerettet, während meine Schwester und der andere Sohn dort gleich nach der Deportierung für „leichte Arbeit“ in die Gaskammern kamen. Dasselbe Schicksal ereilte die jüngste Schwester mit ihrem Mann, die damals von Holland dorthin gebracht wurden. Im gleichen Haus am Runkelplatz wohnte damals Frau Bodenheimer, die von Theresienstadt kam und mir berichtete, dass unser Vater im Oktober 1944 mit einem Transport, wo auch ihr Mann mitmusste, nach Auschwitz in die Gaskammern verfrachtet worden sei. Der Vater sah noch frisch und gesund aus, hatte die Pakete immer bekommen und immer von uns und der Zukunft erzählt. Vom Transport meiner ältesten Schwester hat man nie wieder etwas gehört. Die einzige Hoffnung, die uns überhaupt die Kraft und den Willen gab, alles zu überstehen, erfuhr eine furchtbare Enttäuschung.

Wir bezogen zunächst in demselben Haus am Runkelplatz eine Wohnung, da ich von Neuwied aus unsere Familientragödie klären wollte. Im Kampf gegen die Schuldigen erlebte ich, dass ich erneut zum Verfolgten wurde. Etwa 14 Tage nach unserem Einzug geht eines Tages die Wohnungstür auf und es erscheint: Heinz Lichtenstein, ehemals Schmied in der Baracke Theresienstadt, jetzt wieder Oberwesel. Ich umarmte ihn, jedoch zur gleichen Zeit sagten meine Frau und ich zu ihm: „Am liebsten möchten wir dir jetzt noch den Hintern versohlen für die Dummheit, die du damals begonnen hast.“ Die Familie Lichtenstein, die bis auf den Vater am Leben blieb, ist inzwischen nach USA ausgewandert.

 

Sehr geehrter Herr Professor Wolf! Hoffentlich habe ich mit diesen Aufzeichnungen das erfüllt, was Sie wünschten. Ich erwarte ihre geschätzte Antwort.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

(gez. Julius Meyer)

 

Quelle: Friedr.-Wolf-Stiftung (Mappe 171/2)

Gedenkrede

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