Rede von Julius Meyer zur Gedenksteinerrichtung 1947

« Zurück zur Biographie von Wolf Meyer

 

 

Julius Meyer, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde des Kreises Neuwied
Julius Meyer

Im September 1947 hielt Julius Meyer,  Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde des Kreises Neuwied, die Eröffnungsansprache anlässlich der Errichtunge eines Gedenksteins zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust 1933 - 1945 auf dem Jüdischen Friedhof in Niederbieber

(im Original: 2 Seiten, unleserlich. Abschrift von Dr. Hennning Müller, Friedrich-Wolf-Stiftung, Oranienburg, Mappe 171/2)

 

Auf diesem Boden, der Gebeine unserer Vorfahren seit Jahr­tausenden birgt – auf diesem Boden, der die Grabsteininschriften vieler unserer Glaubensbrüder trägt, die in den Kriegen im Glauben für eine gerechte und gute Sache gekämpft – ihr Leben für ihr vermeintliches Vaterland opferten –also im Namen Deutschlands – auf diesem Boden sind wir 18 Überlebende der vor 1933 über 600 Mitglieder zählenden Gemeinden des Kreises Neuwied erschienen – umgeben von unseren Freunden und Gästen, um jener zu gedenken, die Opfer der fürchterlichen Barbarei der Geschichte wurden, um sie zu ehren, um ihnen das, was uns innerlich bis zu ihrem Tode mit ihnen verbindet, auch äußerlich durch die Errichtung dieses Gedenksteines zum Ausdruck zu bringen.

Nicht einmal die Asche ließ man uns, wir wissen nicht, wohin die Mörder diese gestreut haben. Auch das geschah im Namen Deutschlands. Aber eines wissen wir von unseren Unglücklichen, die im Kampfe zwischen dem Guten und Bösen ihr Leben geben mussten: ihre letzten Gedanken und ihr letzter Atemzug galten uns. Sie gaben ihr Leben, damit wir leben sollten, - und das verpflichtet uns.

 Nie werden wir Euch vergessen – weil wir Euch nicht vergessen können. Ferner: Wir wollen keine Rache oder aus Eurer Asche Kapital schlagen – aber wir wollen eine gerechte Sühne: und wir wollen hier das Gelöbnis ablegen, in jedem Jahre zu einem bestimmten Tage wollen wir gemeinsam hier an diesem Gedenk- und Mahnmal erscheinen und Euch beweisen, dass wir Euer würdig sind.

Und noch eins wissen wir: In Eurer Sorge um uns Hinterbliebenen habt ihr in den letzten Gedanken gedacht: Was wird nun aus Euch, wenn ihr am Leben bleibt? Wir können Euch doch nun garnichts hinterlassen!

Doch dieses ist der einzige Gedanke, der nicht mit dem unsrigen übereinstimmt: Noch in tausenden von Jahren – wenn der Dschungel es kaum mehr wagt, die Namen jener nazistischen Mörderbande zu flüstern – da wird sich die Kulturwelt noch in Demut und Ehrfurcht vor Euch verbeugen!

Und das ist unser und unserer Nachkommen Erbe, und das ist größer als alle goldenen Kälber der Welt.

Ihr Lieben! Euer Leben war ein bescheidenes, entsagungsvolles und aufopferungsvolles. Ihr waret die Besten – darum hat Euch Gott zu sich genommen. In Eurem Geiste wollen wir leben – denn wir wissen – dass es so Euch und Gott gefällt.

Meine nichtjüdischen Freunde, Gäste und behördlichen Vertreter! Wir wissen, dass die Not in Deutschland groß ist, auch wissen wir – dass der Kampf zwischen dem Guten und Bösen noch nicht zu Ende ist – doch ich bitte Sie: In allen Ihren Entschlüssen und Entscheidungen denken Sie bitte darüber nach: Was 12 Jahre nazistischen Terrors, Folterungen, Entbehrungen und Lagerleben in unsere Herzen und Leiber hineingedrückt haben, das nicht von heute auf morgen hinausgedrückt werden kann. Jeder, der sein Herz und sein Gewissen handeln lässt, erfüllt unseren Hinterbliebenen gegenüber eine menschliche und göttliche Pflicht. Sie brauchen nicht auf Bestimmungen zu warten, die Ihnen von der übrigen Welt verordnet werden, denn diese übrige Welt ist ja nicht gut zu machen. Was geschehen ist, ist im Namen Deutschlands geschehen und die Welt erwartet aus schon fast 20 Jahren, dass Taten folgen. In dieser Erfüllung werden Sie uns und der übrigen Welt jenen physischen Beitrag leisten, auf den wir Menschen alle so lange warten: „Erlösung und Frieden“.

Wir setzen Cookies zur optimalen Nutzung unserer Website ein. Nähere Informationen dazu finden Sie »hier