Überlieferter Lebenslauf von Günter Ransenberg

 

Am 28. August 1907 wurde Günter Ransenberg als jüngstes von sieben Geschwistern in Neuwied geboren. Seine Familie kam aus Westfalen, der Vater Julius Ransenberg war seit 1988 Rabbiner und Lehrer in Neuwied. Günter R. übernahm die Buchdruckerei seines Schwagers, die bankrott war, und lernte das Buchdruckerhandwerk in Aachen. Am 14. Januar 1934 wurde er zum ersten Mal verhaftet:

"Eines schönen Sonntags ging ich mit zwei nicht-jüdischen Freunden, einem Kölner und einem Aachener, über die Grenze (nach Holland). Der Kölner bat uns, ihm zu helfen, damit er sich über die Anti-Nazi-Literatur informieren könne. Offenbar wurden wir beobachtet. Als wir nach Deutschland zurück kamen, wurden wir an der Grenze verhaftet.

Die beiden Freunde hatten Zeitungen und Papiere bei sich, ich nichts. Ich habe ihnen nur den Weg durch den grünen Wald gezeigt.

"Damals habe ich den Hauptschlag meines Lebens empfangen. Ich war ein normaler Bürger, der eine Verurteilung als das schlimmste ansah, was ihm geschehen konnte. Nach einem Jahr Untersuchungshaft wurde ich in Hamm in Westfalen vor dem Volksgerichtshof zu 2 1/2 Jahren Gefängnis verurteilt.

Im Juli 1936 wurde er entlassen. Bis 1938 arbeitete er in seiner Buchdruckerei. "Dann kamen zwei Männer in die Buchdruckerei und sagter zu meiner Frau (sie war Christin): 'Wir müssen Ihren Mann mitnehmen. Das war im April oder Mai. Günter Ransenberg kam nach Sachsenhausen. Vor dem Abtransport konnte er seine Frau noch einmal sprechen. "Du mußt mir eine Ausreisegenehmigung besorgen - sei es nach der Arktis oder Antarktis", sagte er ihr.

Seine später in Auschwitz ermordete ältere Schwester Irma Ransen¬berg ermöglichte ihm die rettende Ausreise! Durch Irma hörten wir, daß man aus dem KZ herauskommen könne, wenn man die Ausreise in außer¬europäische Länder hatte. Es gelang ihr, im mexikanischen Konsulat in Köln ein Touristen-Visum für Mexiko zu bekommen."

Am 27. August 1938 verließ Günter Ransenberg Deutschland per Schiff, am 17. September ging er in Veracruz an Land. Seine Frau und die beiden Kinder - eine fünfjährige Tochter und ein Baby - blieben in Deutschland zurück. Auf abenteuerliche Weise kamen sie 1940 über Italien nach. Fünf seiner sechs Geschwister wurden in deutschen Konzentrationslagern umgebracht.

In Mexiko arbeitete Günter Ransenberg zunächst auf dem Lande, dann machte er sich als Samenhändler in Puebla selbständig. "Von da an habe ich mich durchgeschlagen. Mehr oder weniger, ohne große Güter anzuhäufen. Aber ich hatte meine kaufmännische Erfahrung von drüben. Ich habe neuartiges Saatgut eingeführt und habe damit Er¬folg gehabt ...'' Den Großhandel übernahm sein Sohn, das Einzelhandelsgeschäft in Puebla hat er selbst bis ins hohe Alter geleitet.

Am Türpfosten seines Wohnhauses ist die Mesusa angebracht - doch die wenigsten Besucher kennen ihre Bedeutung. Im Wohnzimmer: Menorah, Chanukkiah, Sabbath-Leuchter. Im Arbeitszimmer: Bücher in spanischer und deutscher Sprache, Heinrich Heine, Stefan und Arnold Zweig ... die Enzyklopädie Judaica ... Und ein Bild des Reformers Benito Juarez, des einzigen indianischen Präsidenten, den Mexiko je gehabt hat, der in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Trennung von Staat und Kirche durchführte.

"Ich liebe Mexiko", sagt der 87jährige über das Land, in dem er seit 56 Jahren lebt, "aber Mexikaner bin ich nicht geworden. Es ist seltsam, und ich habe mich dessen manchmal geschämt, aber ich bin Deutscher geblieben. Denn alles, was ich an Kultur aufgesogen habe, ist deutsch ... Ich kenne heute auch das eine oder andere Gedicht auf Spanisch - aber es hat nicht den selben Geschmack für mich wie ein deutsches Gedicht."

"Die Leute können in Deutschland noch so viel darüber schreiben, wer Jude und wer Deutscher ist - bis ich mein Haupt darniederlege, bin ich ein deutscher Jude.

Mitstenographiert bei einem Gespräch mit Günter Ransenberg im Februar 1995 in Puebla

(Ursula Schütze, Essen)

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