Hans Schneider: Gladbacher Alltag zwischen den beiden Weltkriegen

 

Aus: „Gladbacher Alltag zwischen den beiden Weltkriegen“ von Hans Schneider, entnommen der „Festschrift aus Anlaß der 900-Jahr-Feier des Ortes“ („Gladbach – früher und heute“) hg. von Friedrich Felgenheier (Neuwied-Gladbach 1998); S. 90 ff.:

 

„Das politische Leben zeigte sich uns Kindern von einer sehr bunten Seite. Ich erinnere mich z.B. an einen Sonntag, an dem es im Dorf drei Aufmärsche gab. Zuerst zog der rechtsorientierte Stahlhelm auf, dann das SPD-nahe Reichsbanner, schließlich die KPD von der äußersten Linken, deren Kolonnen von einer Schalmeienkapelle aus Bendorf angeführt wurden. Die Nationalsozialisten traten in unserem Dorf erst spät, aber sogleich rabiat in Erscheinung, indem sie bei einer Kundgebung auf dem Kirmesplatz einen Redner, der sich gegen sie stellte, vom Podium zerrten. .....

Vor dem 30. Januar1933, an dem Hitler zum Reichskanzler berufen worden war, spielten die Nationalsozialisten in Gladbach praktisch keine Rolle. Erst einige Wochen nach diesem Termin wurde ein Stützpunkt errichtet, später eine Zelle, die zur Ortsgruppe Heimbach gehörte. Der Zellenleiter und die Funktionäre in den zahlreichen Untergliederungen der Partei waren durchweg ehrenwerte Bürgerinnen und Bürger und zum großen Teil sicher in guter Absicht tätig. Objektiv aber dienten sie einem Regime, dessen verbrecherischer Charakter nach und nach erkennbar wurde. Sie unterschieden sich damit nur wenig von der Masse der Bevölkerung , die – teils verblendet, teils eingeschüchtert – tat, was die Machthaber anordneten.

Nur wenige leisteten Widerstand und mußten dafür büßen, wobei Denunzianten hinter den Kulissen sehr wahrscheinlich mitwirkten. Johann Hecken, Valentin Kern sowie Peter Weber stellten sich gegen das neue System und wurden verurteilt. Ein aus Kassel kommendes fliegendes Standgericht fällte in Neuwied seinen Spruch. J.Hecken und V.Kern erhielten Freiheitsstrafen, P.Weber kam in ein Konzentrationslager, aus dem er nach ein paar Jahren zurückkehren konnte. Valentin Kern konnte zur Beerdigung seiner Mutter auf Urlaub kommen. Nachbarn und Gesinnungsfreunde unterstützten seine Frau, die sich mit fünf Kindern durchschlagen mußte.

Auf der Schattenseite des Lebens standen seit dem Beginn der Naziherrschaft die acht jüdischen Gladbacherinnen und Gladbacher. Sie lebten seit Jahrzehnten in bestem Einvernehmen mit der übrigen Bevölkerung. Es waren die Metzgerfamilie Alex Platz, die an der Ecke Obergasse/Kirchstraße (An der Marienkirche) ihr Geschäft hatte, Leo Platz mit seinen Eltern und einem Bruder im heutigen Haus Rommersdorfer Straße 2, wo man Fahrräder und Radios kaufen konnte, sowie Julius Levy und seine Frau Frida Levy [1] , geborene Platz. Die meisten Mitbürger ignorierten die NS-Parole Kauft nicht bei Juden, obwohl zeitweise ein uniformierter SA-Mann aus Heimbach die Kunden beobachtete. Ein anderes Beispiel dafür, daß Gladbacher den Machthabern zum Trotz zu ihren jüdischen Nachbarn standen, war das Verhalten des Bimsfabrikanten Christian Heß. Als Alex Platz seinen Betrieb nicht weiterführen durfte, gab er ihm einen Arbeitsplatz.

Welche Probleme aus dem Umgang mit Juden erwachsen konnten, und wie die Bürger auf Nazimaßnahmen reagierten, zeigt folgende Episode: Es mag im Jahre 1938 gewesen sein, als das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer eine Notiz brachte, die ich leider nur sinngemäß wiedergeben kann: In der Gemeinde Gladbach bei Neuwied trifft sich jeden Sonntag in der Gaststätte Hillen eine seltsame Runde. Der Arbeiter Peter Blum, der Bäckermeister Ludwig Linzenbach und der Fabrikant Johann Weinand spielen mit dem jüdischen Metzgermeister Alex Platz Skat. Peter Blum I. tut dies, obwohl er Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (NS-Organisation für die Arbeiterschaft) ist. Die Skatbrüder trafen sich danach dennoch, bis Alex Platz mit Rücksicht auf die anderen wegblieb. Mein Onkel Peter Blum mußte sich beim Chef der Bimsfirma Raab, wo er beschäftigt war, melden und erhielt offiziell einen Tadel. Danach ging der Direktor quasi zum privaten Teil der Unterredung über und schenkte ihm eine Zigarre. ...“


[1] Im „Gedenkbuch“ des Bundesarchivs (Koblenz 1986) wird der Familienname „Lewy“ und der Vorname „Frida“ geschrieben.

 

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