Michael Max Saunders (früher: Sander) 13.1.1910 - 13.3.1989

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Ausschnitte aus einem Gespräch mit Schülern und Schülerinnen des 10. Schuljahrs der Hauptschule Niederbieber v. 22.5.1986)

 

Die Familie: (zusammengefasst):

Meine Mutter war aus Thalhausen, mein Vater aus Niederbieber. Mein Vater hat im 1. Weltkrieg gekämpft. Er starb 1934. Meine Mutter war in der Munitionsfabrik bei Winkler & Dünnebier

Mutter, Frau und 4-jährige Tochter wurden im KZ ermordet.

 

(Zur Deportation:)

Das war im Juli 1942. Die [Juden] wurden dann von der Gestapo eingesammelt und in ein Konzentrationslager gebracht. – Ich bin am 14. Juli 1938 verhaftet worden, ohne Grund und ohne alles. … Wenn wir Juden ein kleines Vergehen hatten, wie man sagt, ne Polizeistrafe, das Nummernlicht hat nicht gebrannt oder man hat falsch geparkt, oder sonst irgendwas, wo man aufgefallen ist, das wurde damals so schwer geahndet, das Gefängnis oder Zuchthaus darauf stand. Und ich wurde 1938 eingeliefert in Neuwied ins Stadtgefängnis und acht Tage später kam ich dann nach Berlin, Oranienburg – Sachsenhausen, ins Konzentrationslager, ohne Grund und ohne alles, nur weil ich Jude war.  … In der Stadt hier war kein Konzentrationslager.

 

Gab es Leute, die den Juden geholfen haben?

Ja, es gab sogar welche, die Juden im Keller versteckt haben. Da war einer, der war selbst in der Partei und hat den Stürmer verkauft. Der hatte 4-5 Juden im Keller versteckt, vielleicht drei Jahre.

Die Leute hatten Angst. Verschiedene waren im Rasselstein am arbeiten. Ich will Dir nur ein Beispiel erzählen. Mein Vater war im Gesangverein; er ist 1934 gestorben. Nun ist es üblich, wenn ein Vereinsmitglied stirbt, dass der Verein [mit der Beerdigung] mitgeht. Die hatten alle keine Courage, waren alles Rasselsteiner Arbeiter. Die sind hinten rum in Niederbieber, haben hinter den Sträuchern gestanden und haben meinem Vater die letzte Ehre erwiesen. Im Geleit selbst sind sie nicht mitgegangen, weil sie Angst hatten, sie würden ihre Arbeit verlieren.

 

(Über die damaligen Mitbürger:)

Was soll ich darüber gedacht haben? Ich war im Fußballverein; ich durfte nicht mehr auf den Fußballplatz gehen, wir durften nicht mehr ins Kino gehen, wir durften nicht mehr in ein Lokal gehen. Das war 1935, am 15. September, da kamen die Nürnberger Gesetze raus, … Wir durften uns in der Allgemeinheit … nicht mehr aufhalten. … Die jüdischen Geschäfte wurden boykottiert. Da stand die Hitlerjugend oder die SA vor dem Geschäftshaus und dann hieß es Kauft nicht bei Juden! und später wurde dann groß an der Scheibe Jud hingeschrieben. Und die Leute sind eben nicht mehr kaufen gegangen, aus dem einfachen Grund, weil der Mann am arbeiten war und der würde dadurch seine Arbeitsstelle verlieren.

In der Pogromnacht 1938, am 9.November, wurden die ganzen Geschäfte geplündert, bei den Privathäusern wurden die Möbel aus den Fenstern geworfen und die Männer kamen in ein Konzentrationslager, aber das war noch nicht die richtige „Aktion“, die kamen in ein Konzentrationslager, … die meisten wurden nach 4 oder 6 Wochen wieder entlassen.

 

Wie wurden Sie im Konzentrationslager behandelt?

… Eines Tages kam der Kreisarzt [zu mir ins Gefängnis]; wir wurden untersucht, ob wir [zum Transport] tauglich waren oder nicht. Also, ich war ein junger Kerl, damals 28 Jahre. Wir kamen nach Weißenthurm, da war ein Zug, aber kein Güterzug, ein Personenzug, der war voll mit jungen Menschen, die alle ins Konzentrationslager sollten. Es waren nicht nur Juden, es waren auch andere dabei, Asoziale, Verbrecher. Da wurden wir auch reingepfercht. Die Fahrt ging durch bis nach Berlin-Oranienburg. Da wurden wir mit Kolbenhieben aus dem Zug raus getrieben. Da waren alte Menschen dabei, die sind umgefallen und wurden mit Kolbenhieben wieder aufgetrieben. Dann kamen wir in ein großes Camp. Da stand die SS mit geladenen Gewehren und da war ein Oberführer, das war der Kommandant von dem Lager, die standen in Reih und Glied. Der ging zu einem und fragte: „Warum bist du hier?“ Sagte der: „Ich weiß nicht, warum.“ Dann wurde der auf den Bock geschnallt und mit einer Peitsche bekam er 25 Hiebe. Wenn er den nächsten gefragt hat, der wusste dann Bescheid und sagte: „Weil ich nicht brav war.“ Das wollte der hören. Dann kamen wir in ein großes Zimmer, bekamen die Haare geschnitten und mussten baden. Das war damals noch human, eine richtige Badeanstalt. Nicht wie später, 1942, es gab noch keine Vergasung. Wir mussten arbeiten, hatten einen Schießstand gebaut; wir waren isoliert, weil wir Juden waren. Block 15/16 waren nur Juden. (Passage nicht verständlich.) Wir haben ganz unproduktive Arbeit gemacht. Wir mussten einen Sandhaufen von hier da hin schaufeln und dann wieder von da nach hier hin. Abends sind wir dann im Block einmarschiert.

 

Da waren überall rote Fähnchen markiert, wo wir gearbeitet haben. Und dann sagte der Kommandant: „Meine Jungens schießen wie die Götter. Wenn ihr hinter die roten Fahnen geht, bekommt ihr nen Kopfschuss.“ Ein Mann hat sich nichts dabei gedacht, hat die Wache gefragt: „Darf ich mal austreten?“ „Ja, geh mal da ins Gebüsch.“ Da hinter der roten Fahne legte er das Gewehr an und hat ihn niedergeknallt. In dem Moment mussten wir uns alle hinlegen, den Kopf in die Armbeuge und durften nicht aufsehen. Wer aufgesehen hatte, bekam wieder einen Schuss. Es war alles totenstill. Die Leiche wurde nach Hause geschickt; die Angehörigen mussten dafür bezahlen. Er ist angeblich an Lungenentzündung oder ähnlichem gestorben. Wir durften auch den Sarg nicht mehr aufmachen. Das war schon 1938/39.

Die „Bibelforscher“[1] waren auch da, weil sie nicht unterschrieben hatten, dass sie Adolf Hitler anerkennen. Die waren frei, nur in der Hütte (?), aber nicht isoliert, die konnten sich frei bewegen. Das hat ungefähr ein ganzes Jahr gedauert, dann kamen wir auch frei. Es wurde die Isolation aufgehoben …(??)… dann war es etwas besser und nicht so beengt.

Ich wurde 1939 entlassen, weil meine Frau für mich die Auswanderung nach England gemacht hat. Ich hätte vorher schon in die Dominikanische Republik [auswandern können], aber da bin ich nicht frei gekommen. Ich hatte nämlich einen „guten Freund“ in Neuwied, der hat gesagt, es wäre zu früh mich zu entlassen. Dann wurde ich am 22. August 1939, 7 Tage vor dem Krieg, entlassen. Aber ich durfte nur eine Nacht zuhause bleiben für den nächsten Zug nach England.

 

(Die Folgen des Boykotts:)

Wenn die Käufer ausblieben, blieb [dem Besitzer des Geschäfts] nichts anderes übrig als zu verkaufen. Aber der konnte nicht sagen „Ich will für mein Haus 30 oder 40 Tausend Mark haben.“; der Käufer hat den Preis diktiert. Der hat vielleicht gesagt: „ Ich gebe dir für deinen Laden oder dein Haus, das damals 20 Tausend Mark wert war, 5 Tausend. Entweder du nimmst es oder ich hol es so.“ Manche waren froh, wenn sie 5 Tausend Mark bekamen, weil man sie gebraucht hat für die Auswanderung. Das fiel damals noch leichter. Wer damals Geld hatte, der konnte auswandern.

 

(Eine Anekdote:)

Da war der Friseur Willi Flachskamm, der war in der SA, der hat mir immer die Haare geschnitten und mich rasiert. Und unser Kreisleiter Detlev Dern hat sich auch die Haare schneiden lassen, und ich war vor ihm dran. Da sagte der Inhaber von dem Geschäft: „Der Nächste, bitte.“ Der wusste, wer ich war. Da sagte der Kreisleiter (der hat gestottert): „A-auf di-esen Stuhl setz’ ich mich nicht.“

 

 

(Im Exil in England:)

… Das Schlimmste war: Adolf Hitler hat meine Staatsbürgerschaft gestrichen. Ich war staatenlos, als ich nach England kam. In England bekam ich die britische Staatsangehörigkeit, da ich über 14 Jahre da war. Ich habe da Lastwagen gefahren. Dann kam ich nach Neuwied zurück, 1952 oder 53. Ich musste als Ausländer alles doppelt bezahlen. Da habe ich einen Bekannten getroffen, der war im Landratsamt. Dem habe ich gesagt: „Ich bin hier in Heddesdorf oder Neuwied geboren, der Adolf Hitler hat mir die Nationalität gestrichen. Aber ich bin doch Deutscher!“ Dann hat der mir ein Formular hingelegt, das habe ich unterschrieben. „So, jetzt bist du wieder Deutscher!“

 

(Nach dem Krieg:)

Wenn die Care Pakete nicht gewesen wären, wäre manch einer arm dran gewesen. Da hat manch einer geguckt, ob er nicht eine nicht-arische Großmutter hatte. Aber der Hass war wie abgeblasen, aus dem einfachen Grunde, die haben gedacht, wenn die Juden wiederkommen, dann gibt es wieder Handel und Wandel. Der Stern[2] hat damals sein Geschäft wieder übernommen.

… Ein Beispiel: Da war die israelische Flagge an der Anlegestelle. Da stand ein älterer Mann mit einer jungen Frau. Ich kam da vorbei und guckte den an, ich habe ihn gekannt, das war nämlich ein ganz großer Nazi. Da hab’ ich zu ihm gesagt: „Das hätt’st du dir auch nicht träumen lassen, dass hier mal die israelische Flagge hängen würde.“ – „Ach nee, das war ja so und so; kannst mich ja mal anrufen.“ Ich habe ja weiter nichts gesagt als „Ja, wenn ich Zeit hab’, ruf ich Dich mal an.“

Die sagen, es ist alles vorbei, lange vorbei. Obwohl meine Frau, meine Mutter, mein Kind vergast wurden. Das war vor 40 Jahren. Man kann ja nicht ewig hassen und hassen und hassen.

 

 

Auskunft Archiv der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (gez. Monika Liebscher) (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) Az.: 2-10/5 v. 4.3.2008

 

1) Die Akten der Kommandantur des KZs einschl. der Häftlingskartei wurden von der SS bereits im Frühjahr 1945 vernichtet. Die meisten Akten befinden sich heute in Archiven der Russischen Föderation.

Frau L. empfiehlt Kontakt mit dem Internationalen Suchdienst, Große Allee 5-9 in 34454 Bad Arolsen, der als zentrale Erfassungsstelle aller im In- und Ausland verwahrten Unterlagen über KZ-Häftlinge fungiert.

2) 3 Einträge zu Max Sander: Er kam am 21.6.1938 im KZ Sachsenhausen an. Einlieferung im Namen der sog. Aso-Aktion (Sommer 1938), als die SS Tausende von „Arbeitsscheuen“, Wohnungslosen, Vorbestraften und Politischen verhaften ließ, um Arbeitskräfte für Steinbrucharbeiten in den verschiedenen KZs zu gewinnen.

 

3) DATEN:

Max Sander, * 13.1.1910, Einlieferung Sachsenhausen: 21.6.1938; Häftlingsnummer: 003824, Kategorie: arbeitsscheuer Jude. Entlassung: 18.8.1939

  

 

[1] gemeint sind wohl die „Ernsten Bibelforscher“, die heutigen „Zeugen Jehovas“

[2] Gemeint ist wohl Fritz Stern.

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