Günter Ransenberg: Erinnerungen an die Neuwieder Synagoge
Auszüge aus einem Brief von Gunter Ransenberg aus Mexiko vom 11.3.1981, Sohn des letzten Rabbiners und Lehrers der jüdischen Gemeinde Neuwied, einziger Überlebender seiner Familie
„… Die jüdische Volksschule. Dort, wo mein Vater Lehrer war und dort, wo ich geboren wurde. Anfang dieses Jahrhunderts, als die jüdische Schule staatlich wurde, kam auch das Schulgebäude in städtischen Besitz und als solcher wurde das Haus in jener infamen Nacht der Zerstörung jüdischer Gotteshäuser vor der Zerstörung gerettet, bis es dann im Jahre 1980 der Modernisierung des Straßennetzes zum Opfer fallen musste.
Fast neben der Schule nun befand sich die viel, viel ältere Synagoge, ein ganzes Stück von der Front der Häuser zurückgesetzt. … Ich weiß nicht, ob es einer gesetzlichen Vorschrift entsprach, dass diese Synagoge so versteckt und unauffällig gebaut worden war. In der Schlossstrasse wurde ihre Sicht von den Häuschen vollkommen verdeckt.
Nur derjenige, der sich vorsätzlich bis in die Mitte der Sackgasse begab, konnte die Synagoge gewahr werden. Eine Mauer aus Steinen bis zur halben Höhe und dann mit Drahtgitter in der oberen Hälfte trennte das Gebäude von der Straße.
Ein kleines, grünes Vorgärtchen gab dann den Blick auf die Synagoge frei, deren Bau an eine große Kapelle erinnern konnte. Zwei große Rundbogen-Fenster gaben ihr einen feierlichen und kirchlichen Charakter.
Zwei Zugänge durch den Vorgarten gaben den Eintritt frei: Zuerst einmal geradeaus das doppelte, schwergewichtige Holztor, durch das des Samstags und des Feiertags die männlichen Andächtigen eintreten konnten. – und linker Hand etwas zurück lag der schmale Nebeneingang , der auch als Eingang zur Frauensynagoge diente. (…)
Wer bedeckten Hauptes in die Synagoge eintrat, gewahrte unter sich den alten, schon abgetretenen Teppich, der das Geräusch der Schritte dämpfte. Linker Hand begrenzte die Mauer die Sicht. Auf ihr hing gleich beim Eingang eine Tafel, auf der mit Kreide bereits die deutschen Chöre angegeben waren, die an diesem Sabbat aus dem Choralbuch der Synagogengemeinde Neuwied zu singen seien. – Und einen Schritt weiter befand sich die bronzene Tafel, auf der die 11 oder 12 Juden verzeichnet waren, die während des ersten Weltkriegs gefallen waren (…).
Und über uns verdunkelte die vorgezogene Empore unsere Sicht. Sie wurde von verschiedenen eisernen Pfosten getragen. Dort oben befand sich das Harmonium und der Platz für den Chor.
Am Mittelgang müssen wir dem großen, gusseisernen Ofen Platz machen, der des Wintertags versuchte, den großen Raum zu erwärmen. Wenn wir uns nun vor den Ofen stellen und gen Osten blicken (also in die Synagoge hinein), dann sehen wir an der Ostwand (genau nach religiöser Vorschrift) den Altar, etwas erhöht, mit den beiden siebenarmigen Leuchtern an der Seite. Und in der Wand dahinter den Thora-Schrein, dessen Tür geschlossen ist und von einem samtenen Vorhang verdeckt wird. Der Vorhang trägt hebräische Schriftzeichen, die aussagen, wer diesen Vorhang einmal und zu wessen Andenken gestiftet hat. Im Gottesdienst und beim zentralen und wichtigen Moment wurde der Vorhang geöffnet. Der Vorbeter entnahm eine der 6 oder 8 handgeschriebenen Thora-Rollen, um daraus den zuständigen Abschnitt des Tages vorzutragen.
Rechts und links von uns sind die langen Holzbänke, jede wohl für 6 Personen gedacht. Vielleicht waren es 14 Bankreihen beiderseits. ….. Auf der linken Seite der Doppelreihen war ein Erweiterungsbau deutlich zu erkennen. Er wurde von Pfeilern getragen, die einst mit einer Mauer verbunden waren: Sie trennte diesen Teil vollkommen von dem Rest der Synagoge ab. – Das war die Frauensynagoge.
Seit mehr als hundert Jahren wohl war die Mauer abgerissen, aber die Teilung noch klar erkennbar. …[Trotzdem wurde die] Trennung von Frauen- und Männerseite bis zuletzt streng durchgeführt.
Wie anfänglich erzählt, gab es also noch den Nebeneingang. Der führte zunächst in einen recht dunklen Flur. Auf der rechten Seite des Flures ist die schmale Eingangstür zur Frauensynagoge. … Das Flürchen endete linker Hand in eine Art Kohlenschuppen, wo der Vorrat für den Ofen aufgestapelt wurde. Dieser Raum war früher, wie ich hörte, das Frauenbad, das vorgeschriebene Tauchbad für die Frauen. Aber zu meinen Lebzeiten schon außer Dienst. …
Im ersten Stock befanden sich 2 Räume: Erstens ein kleiner Vorraum zum Chor rechter Hand und geradeaus der größere Sitzungssaal. Dort tagten Repräsentanz und Vorstand und dort hielt auch jeder jüdische Verein seine Sitzungen ab. …
Nun kennen wir ein wenig von der Neuwieder Synagoge. Da stand sie nun, versteckt in der Sackgasse, unauflöslich verbunden mit meiner Jugend, die ich wohlgeschützt zwischen Schule und Synagoge verbrachte. – Wahrzeichen auch einer toleranten Zeit, als der fürstliche Gründer der Stadt jedermann aufforderte, am Wachstum der Stadt teilzuhaben, ungeachtet seines religiösen Bekenntnisses. …
Bis dann im Jahre 1938 feige Brandstifter, meist sogar von außen herbeigeeilt, das kleine Gotteshaus anzündeten, dem Ruf einer rohen Epoche folgend!
Sie starb zuerst, die kleine, bescheidene Synagoge; [danach] begann dann das Martyrium und der Tod und die Entwürdigung seiner Gläubigen!“
…